Wilder Südwesten

Monat: August 2023

Wunschkonzert

Für alle, die wie ich 90er-Jahre Slapstick-Komödien lieben, ist dieser Anfang bekannt:
„Ich möchte eine Welt, in der…“ Dann folgen solche genialen Einlassungen wie: „…in der Würmer und Insekten endlich wieder schmecken“, oder auch „…in der ich aus einer Toilette trinken kann ohne Ausschlag zu kriegen.“

Wissen Sie, was ich möchte? Eine Debatten-Welt in Deutschland, die endlich mal aus einem beinahe schon naturgesetzartigen Reiz-Reaktions-Schema ausbricht. Da redet der Bundesfinanzminister über Zuwanderung, Armut und vielem mehr, alles Themen, die man ansprechen sollte und darf, wenn man wie er viel Geld zu verteilen hat (und meint, noch mehr einsparen zu müssen) und in einem Land mit freier Meinungsäußerung lebt. Dann kommt die von irgendeinem Adjutanten (vielleicht im dritten oder vierten Semester Jura oder Philosophie oder was) des Ministers lange im Vorfeld geplante rhetorische Spitze, dass es einen klaren statistischen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kinderarmut gebe. Man muss ja in die Presse kommen mit markigen Worten und klaren Ansagen.

Was folgt, ist besagtes Reiz-Reaktions-Schema. Allen voran Politiker*innen (wichtig!) der Linken sehen das als „böse“, „ekelhaft“ und so weiter an (die können sich vermutlich nur Erstsemester leisten). Auch Grüne und SPD sind da meist dabei, die üblichen Verbände, die sonst kaum jemand kennt, kommen nun aus den Löchern gekrochen, äußern ihre „Expertise“, und am Ende prügeln alle aufeinander ein. Schließlich wird sicher auch da am Ende irgendein Kompromiss stehen (auch mit Frau Paus), der dann für alle Seiten neu wild interpretierbar ist für die nächste (verbale) Attacke. Ach so, und die AfD äußert sich wie immer gar nicht, lacht sich eins und freut sich über neue beste Umfragewerte.

Ich möchte eine Welt, in der alle mal einen Tag durchatmen und überlegen, warum diese Probleme so alt sind und was man dagegen tun kann. In der sich alle Demokraten zusammensetzen und ernsthaft nach einer Lösung suchen, und erst dann an die Presse gehen. Sich mit Respekt behandeln, nicht belauern, offen sind und dann vielleicht tatsächlich was erreichen. Dann lacht keine AfD mehr, und mehr Menschen kommen vielleicht sogar aus der Armut raus.

Ich weiß, wahrscheinlicher ist es, dass ich mir ein Glas aus der Toilette genehmige und keine Scheißerei bekomme, aber hoffen und wünschen darf man noch, oder?!

Das Ende der Betulichkeit

Wenn man ein „Nein“ nicht als Einladung zum Widerspruch sieht (nicht zur Widertat), dann erfährt man sich schnell als „gelöscht“, „gecancelt“, was etwas vielleicht anderes ist als „abgekanzelt zu werden“, obgleich beide die selbe sprachliche Wurzel haben und das Deutsche, wenn man sich so umhört, wahrscheinlich die Sache auch ganz ordentlich trifft.

Wer abgekanzelt ist, dem wurde klar gemacht, wie unwesentlich sein Beitrag zur Situation, zur Sache und überhaupt zur Welt sei. „Sei“, weil nicht immer ein „ist“ zutreffend das Abkanzeln beschreiben muss.

Damit man nicht in solch eine ungemütliche Lage kommt, ereifern sich viele Helfer und Stimmen, einem schon lange vor einem „Nein“, Hinweise auf den rechten Weg, die rechte Sache und die rechte Sprache zu geben (welch eine Gemeinheit der rechten Sprache und das auch noch wenn es ge-recht zugehen sollte). Wobei wir mitten im Morast der Mehrdeutigkeit aller Sprachen und der Lust der Abkanzler sind, sich auf eine einzige Deutigkeit zu werfen und diese dann ganz eindeutig als alleinige Deutung zu vertreten.

Die vielen Stimmen, die unsere Gedankenwelt harmonisieren,  aus der großen Oper des Lebens einen einstimmigen, eintönigen Summsang werden lassen wollen, ähnlich dem betulichen Summen des verzweifelten Vaters, der sein Kind zum Schlafen bringen will, dieses eintönige Gesummse es schläfert uns und die Gesellschaft ein.

Ganz in dem Sinne, wenn wir schon untergehen, dann im Schlaf.

Aufgewacht. Das hatten wir schon öfter, lange vor dem Biedermeier und erst kürzlich jenseits der Mauer und nicht lange davor allerorten.

Aufgewacht. Harmonie ist ein anderes Wort für Langeweile. Noch viel übler: aufgedrückte Harmonie ist Tyrannis pur.

Raus aus den klostermauerendlosschleifenden Gregorianern, weg von den wiederkehrend wiederholenden Meditierern.

Rauf auf den Höllenritt der Klassik, Toben über den kahlen Berg und brüllen „Another Brick in the Wall“. Nicht zuletzt: no satisfaction, denn es geht weiter und sogar besser.

Lasst die Betulichen summsend dahindämmern, ohne die geht es auch. Eigentlich, ohne die geht es besser.

 

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