Wilder Südwesten

Monat: Januar 2021

Am Vorabend eines 30. Januar

Dreißig Tage vor dem 30. Januar 1933 schrieb die Frankfurter Zeitung in einem Rückblick auf das vorangegangene Jahr 1932: „… so ist im Verlauf des beendeten Jahres tatsächlich eine …. politische Entspannung von großer Bedeutung eingetreten: der gewaltige nationalsozialistische Angriff auf den demokratischen Staat ist abgeschlagen und durch einen mächtigen Gegenangriff aus der Sphäre Papen-Schleicher beantwortet worden… der aber in die Reihen der NSDAP große Verwirrung getragen hat: Millionen von Anhängern sind dieser Partei verloren gegangen… Die Parteien haben erneut gelitten in diesem Jahr, … aber die Demokratie hat nicht weiter gelitten; sie hat während des letzten Jahres geradezu einen Triumph erlebt. … Denn die politische Grundtendenz wird bestimmt durch die Tatsache der Entzauberung der NSDAP.“*
In den folgenden drei Monaten, genauer 83 Tagen, wurde die deutsche Demokratie zerlegt und abgeschafft. Am 4. Januar traf sich Papen mit Hitler, um den amtierenden Kanzler Schleicher zu stürzen. Weitere Gespräche folgten, bis dann Staatspräsident Hindenburg Adolf Hitler am 30. Januar zum Reichskanzler ernannte. Zwei Tage später löste Hindenburg den Reichstag auf. Nach weiteren drei Tagen wurde die Kommunistische Partei per Verordnung verboten, drei Wochen später, nach dem Brand des Reichstages, wurden am 28. Februar die Bürgerrechte abgeschafft. Am 5. März, 35 Tage nach Amtsantritt Hitlers, fanden Neuwahlen statt, die nicht mehr frei waren. 14 Tage später trafen die ersten Gefangenen im KZ Dachau ein (22. März 1933), zwei Tage später wurde die Diktatur mit dem Ermächtigungsgesetz festgeschrieben.
Nach nur 83 Tagen war das Schicksal der deutschen Demokratie besiegelt.
Morgen ist wieder ein 30. Januar. Ein Tag, an dem wir uns an unser eigenes und vergangenes „Schöndenken und Schönreden“ der Gegenwart erinnern sollten und bescheiden werden bezüglich unserer Weisheit, die Welt zu verstehen.
Peter Mohler
* Frankfurter Zeitung, 1. Januar 1933, zitiert nach: Peter Ph. Mohler, Abitur 1917-1971, Frankfurt: Peter Lang, 1978, S. 12f, Hervorhebungen im Original

Warum sollte ich „Von hier an anders“ lesen?*

Robert Habeck ist in der falschen Partei, denn er sagt: „… ist der Begriff „Klimaschutz“ eigentlich falsch. Das Klima ist, wie es ist. Viel präziser wäre es, von Menschheitsschutz zu reden.“ (S. 321) Ob die Grünen ihn nach so einem Satz noch haben wollen können? Welche ansehnliche Partei könnte heute wagen, so einen als Mitglied zu haben? Sei’s drum.
Die Frage ist ja nicht nach der richtigen Partei für Robert Habeck, sondern, warum ich seine „politische Skizze“ lesen sollte, wo ich überhaupt keine Ahnung habe, was das für  ein Genre ist. Also zuerst einmal mich bilden. Gefunden habe ich: „Eine Skizze oder auch Prosaskizze ist ein für sich stehender, gleichwohl fragmentarischer, absichtlich nicht voll ausgeformter, kurzer Prosatext, der wie flüchtig hingeworfen wirkt. Er kann fiktional oder nichtfiktional sein.“ (https://www.buecher-wiki.de/index.php/BuecherWiki/Skizze).
Nicht für voll zu nehmen, entnehme ich der Definition, gehört zum Kern einer Skizze. Flüchtigkeit, Vergänglichkeit und Oberflächlichkeit drängen sich da bei mir als weitere Begriffe hinzu. Und, wer macht die Arbeit, der Autor oder der Leser? Oder, ist die unvollständig Skizze eine Lebensversicherung gegen die  Zumutungen seiner Partei? Egal, wenn das so ist, dann ist Lesen nicht angebracht. Stattdessen passt dazu das Durchblättern eines Skizzenbuches.
Damit kann ich mich auch elegant aus dem voreiligen „ja“ herauswinden, das ich dem Blogadministrator auf seine Frage nach einer Besprechung gegeben hatte. Denn nichts ist unehrlicher als eine schnelle, auf wenigen gelesenen Seiten beruhende Besprechung. Unehrlichkeit passt nicht zur öffentlichen Figur, die Robert Habeck gibt. Deshalb folgt jetzt eine ehrliche ungelesene skizzenhafte Besprechung.
Noch in der Einleitung, S.10, springt mir das Hingeworfene des Textes ins Auge und mein Magen ruft in Vorahnung, was noch kommen könnte, leise nach Bullrich Salz. Robert sinniert über Entscheidungen von Politikern: „Oft genug werden Entscheidungen auch schlicht gar nicht getroffen, beispielsweise als letztes europäisches Land ein Tempolimit einzuführen.“ Keine Angst, ich lasse mich durch das Thema nicht zu einer inhaltlichen Äußerung hinreißen.  Mir geht es um einen kategorialen Flüchtigkeitsfehler. Wer über Politik nachsinnt und heftig mitmischt, ist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bewusst, dass keine Entscheidung zu einem Thema zu treffen, eine der schwierigsten und weitreichendsten Entscheidungen sein kann. Soziologen, Gott schütze ihre Sprachfähigkeit, sagen dann, sich zu etwas nicht zu verhalten ist auch ein Verhalten. Punkt. Hier denkt Robert offensichtlich so wie er spricht: zu schnell.
Ja, genau zu schnell sollte man deshalb seinen Text nicht lesen. Beispiel (S.309): „Als Hitler 1933 an die Macht kam, hatte die NSDAP 43,9% – also keine Mehrheit. Aber die Parteien aus dem konservativen Spektrum verhalfen ihr zur Macht“. Innehalten, wie war das damals? Wann wurde Hitler Reichskanzler (ist das damit gemeint „an die Macht kommen“)?
Reichspräsident Hindenburg, so alle Quellen, ernannte Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler. Die NSDAP hatte damals 33,1% Stimmen und 196 Sitze im Parlament (Wahl war im November 1932). SPD 20,4 (121 Sitze) und KPD 16,9% (100 Sitze). Robert bezieht sich offensichtlich hier jedoch auf die Wahl im März 1933, da war Adolf schon an der Macht. Das Unglück war also schon geschehen und es kam nur noch schlimmer, weil u.a. die hundert Sitze der KPD für „ungültig“ erklärt wurden, die SPD völlig alleine stand und die NSDAP deshalb nur einen kleinen Koalitionspartner, die Kampffront Schwarz-Weiss-Rot mit 8% brauchte, um im Reichstag eine Verfassungsmehrheit zu haben. Kompliziert? Ja, so ist halt die wahre Geschichte, nicht die skizzierte.
Gehen wir jetzt dann einfach mal mitten hinein ins politische Geschäft (ab S.  307). Auf zur Macht, dem Herzstück einer jeden Politik, oder ist das Herrschaft? Herr Rezensent, werden Sie nicht kleinlich, wer schert sich schon um so feine Unterschiede, wie etwa bei Besitz und Eigentum, wenn’s dem Argument dient! Schön, dann bleibe ich bei der Macht. „Neue Zeiten brauchen neue Macht“, aha. Das ist eine richtig gute Skizze aus der Werkstatt eines Mächtigen. Feine Zwischentöne, machen nachdenkliche Freude. Die Skizzenschnellschüsse kann man in diesem Kapitel fast leidlos ertragen. Kleines Beispiel für so einen Schnellschuss: „Macht entsteht also aus dem Alltag und durch das Tun bzw. der Bereitschaft und Fähigkeit, etwas zu tun, Verantwortung zu übernehmen. Das Tun erzeugt allerdings eine Hierarchie, sie etabliert einen Unterschied. Es ist eben der Koch, der kocht und nicht der Kellner. Der kellnert ja.“(S. 331)
Es lebe der deutsche Besinnungsaufsatz! Der Gag mit dem Koch und dem Kellner ist abgelutschter Politikjargon. Er unterstellt eine Hierarchie von Koch und Kellner als gegeben. So eine schlichte Argumentation ist eigentlich unter der Würde von Robert. Und auch unter meiner Leserwürde.
Sei’s drum. Hier eine kurze Auflösung: Kellner und Koch, das ist Arbeitsteilung erst mal ohne Hierarchie. Hierarchie, die Möglichkeit, Anweisungen zu geben, bestünde zwischen Oberkellner und Kellner oder Koch und Sous. Ohne Gast ist das alles außerdem wenig sinnvoll. Und da wird es doch erst spannend: Für wen kocht der Koch und wen bedient die Kellnerin? Den Gast, aha. Wer sagt hier wem was und wer macht was? Die Frau Gast sagt dem Kellner was sie bestellt, der Kellner der Köchin, was Frau Gast bestellt hat, die Köchin kocht das, sagt dem Kellner, wenn sie fertig ist, Frau Gast schluckt, wenn sie den Salat sieht und zu guter letzt zahlt Frau Gast die Zeche, die die Kellnerin kassiert.
Wo ist da die Hierarchie von Kellnerin und Koch? Alles implizit gedacht: ist der Koch auch Eigentümer des Lokals? Oder ist das die Kellnerin? Oder sind beide Eigentümer? Oder nur Angestellte von wem? Wer erhält den Reibach?
Übrigens, in der Politik werden die Gäste gerne unterschlagen, also die, die sagen, was gekocht werden soll und auch dafür zahlen, also wir, die Bürger.
Koch und Kellner klingt nach Schröders Einfachsprech. Passt nicht zu Robert. Oder doch, zu Robert Habeck, dem Mächtigen Nuschler.
Zu guter Letzt, warum soll ich Roberts Buch lesen? Nur weil der Administrator mir ein Besprechungsja abgerungen hat? Falsche Frage; das Buch ist kein Buch, sondern eine politische Skizze, hingeworfen, nicht präzise, aber deutlich genug, um zu wissen, Robert ist wirklich in der falschen Partei. Es wird an der Zeit, für Leute wie ihn und mich eine zu gründen.

Philipp Frankfurter
* Robert Habeck, Von hier an anders, Köln, 2021, 22€ gebunden

Am fünfundzwanzigsten Mai ist Corona vorbei

Warum? Weil es sich reimt. Und am dreißigsten Mai wäre ja Weltuntergang oder? Ganz im Ernst, so weit hergeholt ist das nicht, weil: derzeit fast 200 Impfstoffe in der Planung sind, bei 9 läuft Phase III der Erprobung, 2 sind in der EU zugelassen, Indien, China und Russland haben eigene Impfstoffe und fast jeden Tag kommt ein neuer Impfstoff in die Erprobung.* Es lohnt sich einfach Impfstoff herzustellen. Wenn etwas in dieser Pandemie exponentiell wachsen wird, dann die Menge an guten Impfstoffen. Nicht lange und die Impfzentren werden abgebaut, weil es auch im Kaufhaus geht (fahren Sie nach Moskau).
Deshalb ist der fünfundzwanzigste Mai nicht nur ein Reim.
Und was macht Spahn danach? Das ist doch die große Frage. Wird es ihm gelingen Corona künstlich bis zur Wahl am Leben  zu halten? Werden die Grünen das zulassen? Werden die Sozialwissenschaftlern den Virologen und Physikern endlich mal die Datenleviten lesen?
Dennoch, der Mai wird kommen, die Bäume werden ausschlagen und wir über die Stränge.
Peter Mohler

*https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/impfstoffe-zum-schutz-vor-coronavirus-2019-ncov

Von der Furcht im Herzen Rezension zu Andrea Petković: „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“*

Es gibt viele Gründe, warum man ein Buch mögen kann. Es ist spannend, unterhält, hat eine tolle Geschichte, regt zum Nachdenken an, ist sprachlich ein Genuss. Es hängt auch viel davon ab, welche Art Leser man ist. Mir scheint darüber hinaus, dass man eines sehr allgemein sagen kann: Ein gutes Buch erzählt zwar „nur“ eine Geschichte, diese weist aber über sich hinaus, thematisiert also nicht nur das, was wir lesen können, sondern immer noch mehr. Dieser Geltungsüberschuss macht ein Buch wichtig, weil es den Inhalt von der Zeitlichkeit (von Autor und/oder lyrischem Ich) ablöst und somit in gewisser Hinsicht zeit-los macht. Es gibt viele Passagen, in denen Andrea Petković das gelingt. Die besten aber finden sich vor allem am Anfang, wenn sie nämlich von ihrer Kindheit erzählt. Dort wird ihre Herkunft zum Schnitt- und Achsenpunkt sowohl ihres sportlichen Eifers und Erfolgs, und gleichzeitig wächst ihre Liebe zu Literatur als Ventil sportlicher Enttäuschungen und zutiefst menschlicher Gefühle.
Zum Beispiel ging ihr Vater zuerst alleine nach Deutschland wollte Geld verdienen, um bald wiederzukommen. Jedoch spitzten sich die politischen Konflikte damals in Jugoslawien immer mehr zu, sodass die ganze Familie 1988 nach Deutschland floh. Sein Tennistrainer-Intermezzo 1986 in Deutschland war der Grund, dass die Familie Petković eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung  erhielt. Andernfalls hätten sie als Asylsuchende gegolten. Hier wird klar, wie aktuell die Geschichte der Familie ist, und wie zufällig eine Lebensgeschichte sein kann. Vermutlich wäre Andrea als Flüchtlingskind keine große Tennisspielerin geworden – denn ihr Vater hätte in diesem Fall nicht als Tennistrainer arbeiten können. Das gilt für damals wie heute. Vor diesem Hintergrund bekommt Petkovićs Satz eine ganz besondere, zeit-lose Bedeutung: „»Unbefristete Aufenthaltsgenehmigung« und »Arbeitserlaubnis« waren vielleicht nicht die ersten deutschen Wörter, die ich als kleines Kind aussprechen konnte, aber es waren sicherlich die ersten deutschen Wörter, die ich klar als solche erkennen konnte.“
Noch unmittelbarer erfährt man etwas über die junge Andrea, wenn sie beschreibt, wie sie als Kind eingewanderter Eltern sich mit diesem Malus, der natürlich nie einer sein darf, mit und durch Tennis zu befreien  suchte. Wie dies oft, sehr oft gelang, manchmal aber auch nicht, und was das mit dem auf dem Platz vor Zorn schreienden Teenager machte. Und wie diese Versuche des Hineinanpassens und Dazugehörenwollens immer wieder zu Situationen führten, die ihr unangenehm und zutiefst fremd waren. Besonders augenscheinlich – ich würde sagen geradezu die Essenz des Buches – ist die Passage, wie sie mit ihren Freundinnen aus gutem einheimischem Hause schwarz in der Straßenbahn fuhr: Sie werden eines Tages erwischt, müssen 40 Euro Strafe bezahlen, was Andrea mit Tränen in den Augen und voller Scham und Wut hinnimmt, ihre Freundinnen hingegen nahezu unberührt lässt. Wie sie über Wochen die 40 Euro zusammenspart, vor allem aber zuhause immer die erste am Briefkasten ist, um den Brief mit der Strafzahlung vor ihren Eltern abzufangen. Wie sie es schließlich schafft und ihre Freundinnen später fragt, wie sie es angestellt hätten, die 40 Euro zusammenzubekommen. Und wie diese Andrea völlig ungläubig anschauen und in nüchternem Ton feststellen, dass ihre Eltern es eben bezahlt hätten.
Besonders gelungen ist diese Stelle deshalb, weil Andrea Petković sie mit großen Werken der Literaturgeschichte geschickt verknüpft, in diesem Fall mit Philip Roths „Goodbye Columbus“, in dem es viel um Tennis auf und neben dem Platz geht. „Cocksureness“, bei Roth auf männliche Selbstüberschätzung bezogen, sieht die junge Andrea auch in und an ihren Freundinnen. Die Mischung aus persönlichen Erfahrungen, ganz gleich ob Sieg, Niederlage, Schmerz oder Freude, und die Verbindung dieser Emotion mit Literatur und einem scharfen Blick aufs gesellschaftliche Ganze. Das ist es, was Petkovićs auszeichnet. Ihre Geschichte zu lesen und sich selbst darin zu spiegeln macht großen Spaß und bringt einen innerlich weiter.
Günter Grass, der Mann mit K, argwöhnte, Rezensenten besprächen eher seine Person als seine Werke. Das gehört zum Handwerk. In dieser Hinsicht gefällt mir ihr Buch erst recht. Man spürt Andrea Petković durchgehend im Text, sie ist omnipräsent, weil sie ihr Erlebtes so wunderbar erzählen und darstellen kann. Man ist dabei – auf dem Platz, im Warteraum bei einem wichtigen FED-Cup-Spiel ihrer Freundin Angelique Kerber, stapfend auf den staubigen Straßen Sofias zum Tennisclub neben der noch jungen Andrea, die erst anfängt zu spielen, aber schon so weit weg von allem ist, was sie „zuhause“ nennt. Ja, und überhaupt ist sie schlicht sympathisch. Vor allem aber: Sie setzt sich für Literatur ein. Einen Buchclub zu gründen mutet ja schon irgendwie altbacken an, erinnert einen an amerikanische Serien der 80er und 90er, wo ältere Damen wie die „Golden Girls“ ihre Mittwochabende verbringen. Wie aktuell und cool so etwas aber sein kann, vor allem aber wichtig für die Literatur selbst, zeigt Andrea Petković nahezu täglich, wenn sie postet, welche Bücher gelesen werden. Und noch etwas macht sie so nahbar: dass trotz aller Erfolge ein sehr nachdenklicher Mensch vor uns steht, der seinen Platz im Leben sucht und damit nie aufhören wird, ganz gleich, ob er für eine kurze Weile gefunden wird. 

David Emling
* Andrea Petković „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“, Kiepenheuer & Witsch, 2020, ISBN: 978-3-462-05405-7
Andrea Petkovićs Buchclub gibt’s auf Instagram: https://www.instagram.com/racquetbookclub/Petković

Ochsenglubschaugen ….

Ochsenglubschaugen
Vielleicht kennst Du das, Deine Freundin kuschelt sich in der Öffentlichkeit an Dich. Was machst Du dann? Zurückkuscheln? Also ich, und das was ich so in meinem Umfeld an männlicher Reaktion sehe, mache eine versteifte Wirbelsäule und stieren Blick nach vorne, eben Ochsenglubschaugen. Warum wenden wir uns ihr nicht zu? Gilt Zärtlichkeit als unmännlich? Was soll die Kälte? Was ist peinlich daran, geliebt zu werden und zurückzulieben? Mist, wie oft habe ich versäumt, das Kuscheln zu genießen und jetzt ist es vorbei. Was mir bleibt ist die Trauer, wenn ich wieder mal einen mit Ochsenglubschaugen und dran hängender Frau sehe.

Nummer Zwei
Hello Blues, hello good old times. Ist es ein Frevel, die Nummer Eins sein zu wollen? Ruf mich an, wenn Du magst oder lass es. Bitte mich um etwas, wenn Du es willst, ohne Bitte gibt es nichts. Siehst Du, es geht doch! Ist das nicht eine wunderbare Erfahrung, angerufen zu werden? Sind die Wörter ‚kannst Du bitte‘ ein Balsam auf Deine Seele oder was willst Du? Ah, die Nummer Eins ganz alleine sein. Aha. Man möge sich auf mich konzentrieren und mich alleine, also mich, mich, mich, mich, mich. Pass auf, gleich kommt das Alter Ego wieder um die Ecke, ganz ohne Furcht und pinkelt mich an, dieser Sauertopf. Greif ich mal in meine Körpererinnerungen. Reichlicher Vorrat an Nicht-nummer-eins-erinnerungen. Am schlimmsten nicht die Rivalen, sondern der Erzrivale Arbeit, ein gar garstig gieriger Moloch, bevor ich mich an den wage, erst mal einen Salbeirosmarintee. 36 Jahre habe ich mit ihm gelebt und gelitten. Immer, wenn es schön sein sollte, kam der verrückte Hase aus Alice im Wunderland um die Ecke und rief ‚keine Zeit‘. Dafür war ich die unangefochtene Nummer eins, weil keiner sonst den Job wollte. Und jetzt, wo ich weder eine Nummer noch eine Eins bin, bin ich unzufrieden, wo man mich doch bittet? Darauf einen Schluck Salbeirosmarintee. Vielleicht sind das so komische Merkwürdigkeiten wie mein Ochsenglubschaugenblick aus männlicher Peinlichkeit heraus? Pietistische Reste der Antisexualität gegenüber der Frau und mir Mann? Vergiss es, einfach nicht bekämpfen, sondern laut herausschreien, dass es ein mieses Unglück ist, so in sumpfigen Ideen verfangen zu sein, so verblendet, so ungeschickt das Glück zu sehen. Mein Körper schreit nach neuen Erinnerungen. Let’s dance in the Palatinate.
David Emling & Philipp Frankfurter
Auszug aus Respekt oder Keine Arschlöcher Mehr! – 2020 Preprint

Shut up, enough is enough oder über den Verfall der Normen freier Rede

Jetzt, wo alle auf ihn einschlagen und die Staatsanwälte die Messer wetzen, jetzt sperren Twitter & Co. die Konten von Donald Trump. Was für ein Kraftakt. Wie schön, dass Hass und Putschversuche so rasch eingedämmt werden, oder?
Nein, es ist leider nicht so, weil seit längerem die Norm, niemandem durch Meinungsäußerungen Schaden zuzufügen, verletzt wird.
Gut wäre es hier, wenn wir die feine Unterscheidung von „Meinung äußern“ und „Propaganda“ durchgehend beherzigen würden. Sie wissen nicht, von was ich rede? Ganz einfach von der Begrenzung meiner Freiheit durch die Freiheitsrechte der anderen. Stehe ich in meinem Keller und schimpfe vor mich hin, beleidige Gott und die Welt, ist meine Redefreiheit grenzenlos. Stelle ich mich auf den Balkon, um Gott und die Welt wissen zu lassen, was ich so denke, ist das nicht mehr der Fall, sofern mich eine hören kann. In dem Moment, wo ich weiß, dass mich einer hören kann, schimpfe ich nicht mehr vor mich hin, sondern schimpfe „um zu“. Ich bin so laut, weil ich gehört werden will (um gehört zu werden), weil ich etwas bewirken will (um etwas zu ändern). Genau ab da greifen Recht und Normen ein. „Um zu“ ist ein gesellschaftliches Handeln, das wie alle Handlungen durch Normen (Gesetze, Sitten) regelbar ist und geregelt wird.
Als unzulässiges Handeln gilt vor allem: jedes Eintreten für national, rassisch oder religiös motivierten Hass, das geeignet ist zur Anstiftung von Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt (Artikel 20  der internationalen ICCPR-Konvention von 1966). Weiterhin darf die Redefreiheit zum Schutz der Rechte Dritter und deren Ansehen, sowie der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung oder Gesundheit bzw. Moral eingeschränkt werden (§19, 3 ICCPR).
Schon interessant, daß eine britische Richterin im Falle Assange auf die Einschränkung der Rede- und Handlungsfreiheit hinweisen mußte und zugleich die Persönlichkeitsrechte (Würde) von Julien Assange schützte. Vielleicht denken wir alle einmal über den kleinen Trump oder Assange in uns nach, der so gerne “die Wahrheit” über etwas oder jemanden hinausposaunen möchte, um etwas zu bewirken, was wir ansonsten nur durch zähes kontinuierliches Ermitteln, Überzeugen, Handeln und Aushalten bewirken könnten. Diese Abkürzungen via Diebstahl, Fake News, Unwahrheiten, unbewiesenen Behauptungen, übler Nachrede, Besserwisserei, kurz Gemeinheiten haben sich in unser gesellschaftliches Leben über die letzten Jahrzehnte eingeschlichen. Unsere Entschuldigung ist “die gute Sache”, für die wir eintreten. Entschuldigen Sie bitte, aber genau das ist, was Propaganda ausmacht: alles mögliche, das meiner Sache dient, zu behaupten, und meine Sache ist immer gut. Nein danke, so geht das nicht.
Deshalb öfter mal einem lauthalsigen Propagandisten “shut up, enough is enough” zurufen. Das “jetzt reicht es” unterscheidet sich übrigens gewaltig von der political correctness, weil die auch im Keller zuschlägt.

Peter Mohler

Spurenhalter

So fahre ich gestern Abend mit dem neuen Auto meiner Frau durch die Gegend und probiere aus, was das Teil so kann. Lasse das Lenkrad los und schaue, was passiert. Tatsächlich, der Spurenassistent hilft, es blinkt und piepst, und das Lenkrad führt mich zurück in die Mitte der Straße.
Es ist gut, wenn man solche Hilfsmittel hat. Sein ganzes Wohl und Wehe danach auszurichten, kurz, sich komplett darauf zu verlassen, kann manchmal auch daneben gehen. Herr Söder, das geht an Sie.
Beispiel: Ich fahre mit dem Auto ein Dorf hinaus Richtung Landstraße. Die Hauptstraße ist langgezogen, und keine Sau hält sich an dieser Stelle an die erlaubten 50 km/h. Deshalb hat die Gemeinde vor einiger Zeit mobile Inseln aufgestellt, die dazu führen, dass man entweder anhalten muss, um den Gegenverkehr durchzulassen, oder zumindest Kurven fahren muss. Die 50 km/h werden so gut gehalten. Und jetzt kommt das Problem: Der Spurenassistent des Autos kapiert das nicht. Warum auch, woher soll die Maschine wissen, dass hier der Gemeinde eingefallen ist, mobile Inseln aufzustellen?! Er blinkt, piepst vor sich hin, ich korrigiere. Alles gut, halb so wild, aber man muss wachsam bleiben.
Was, wenn der Spurenassistent bei den Söders dieser Welt auch ständig blinkt, sie aber nicht kapieren, dass hier gerade viele neue Hürden stehen? Sich nur auf den Assistenten zu verlassen heißt: Rums, Crash, fertig. Also: Flexibel und vorausschauend die Situation im Blick haben, vorher schon überlegen, welche Entscheidungen bei den Leuten was auslöst. Wenn man aber nur einen Sound drauf hat, schon Verschärfungen eines Lockdowns fordert, bevor der bereits verschärfte überhaupt eingetreten ist, dann ist das das genaue Gegenteil davon.

Es ist die Hilflosigkeit des Fahrers, der sich nur auf seine Technik verlässt. Ziemlich fahruntauglich würde ich sagen…was in dieser Analogie natürlich heißt – kanzleruntauglich…

David Emling

Willkommen in der wilden Grenzlandwelt mitten in Europa

Es ist ein wildes Land hier. Hier ist der Südwesten Deutschlands oder der Nordosten Frankreichs oder fast die Mitte der Europäischen Union oder weit weg von der Mitte Europas oder wie es Euch gefällt.
Kriege und Epidemien verwüsteten Jahrhunderte lang das Land. Die frühere reiche Kulturlandschaft verfiel wie ihre Burgen und Paläste. Seit 75 Jahren kämpft sie sich zurück. Oft mühsam, nie nachlassend, immer noch ein Zentrum suchend, um das man sich scharen kann.
Laute Fröhlichkeit und Weinseligkeit, Weck, Woi unn Worscht übertönen Melancholie und Sehnsucht nach Wahrheit, Licht und Freiheit. In vino sind nicht nur veritas, sondern auch Depressionen en masse.
Genug, sagen wir zwei, genug ist genug. Vorwärts, frech, frei und unfromm schlagen wir uns nach vorne durch. Und vorne ist, wo wir sind.

Und so sind wir sortiert:
Editorials sind das, was der Duden darüber sagt
Allgemein ist alles, was nicht was anderes ist
Literaten Welt ist der Platz von und für Schriftsteller
Frankfurters Welt ist die eigentümliche Weltsicht von Philipp Frankfurter
Pfälzer Spitzen
sind kleine Gemeinheiten aus der Hüfte geschossen
Soziologen Welt ist ernster als ernst, hier geht es zur Sache

David Emling & Peter Mohler       

Recht oder Gerechtigkeit?!

Als Philosoph müsste ich Ferdinand von Schirach beinahe dankbar sein, dass er moralische Zwickmühlen auf die Tagesordnung der deutschen Pseudo-Kulturguts-Verwaltung, also des Fernsehens, setzt. Aber eben nur beinahe, denn „die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Warum? Weil das jüngste Werk „Feinde“ in seiner Verengung kaum auszuhalten ist. Die Garnierung des Films bzw. der Filme mit Talkshows etc. tut natürlich sein Übriges.
Was meine ich? Zunächst den kruden binären Code, den dessen Erfinder Niklas Luhmann in der Schirach’schen Einfachheit verabscheut hätte. Was soll ein Gegensatz von Recht oder Gerechtigkeit zur Erkenntnis beitragen? Die Verengung wurde in den Zeitungen der vergangenen Woche fleißig kolportiert. Sicher ein Werbeeffekt, dem der Autor ja aber auch hätte widersprechen können. Hat er aber nicht, und so muss ich davon ausgehen, dass er genau auf diesen Gegensatz (der eben mitnichten einer ist) anspielt. Und es bietet sich ja für eine reißerische Story auch an: Eine Entführung (natürlich ein unschuldiges Mädchen), ein Bösewicht, ein guter Cop, etwas überfordert und selbst mit gleichaltriger Tochter, der Tod des Mädchens, dann die Verhandlung mit schmierigen Anwälten; die eben, und das ist die Botschaft, nur das „Recht“ verteidigen, nicht aber auf der Suche nach „der Gerechtigkeit“ sind. Oder, um dem Titel Rechnung zu tragen: sowohl Anwalt und Polizist sind Feinde, aber eben auch Recht und Gerechtigkeit?! Puh, einmal durchatmen.
Glücklicherweise gibt es in der Philosophiegeschichte allerlei Autoren, die sich mit ähnlichen Gedankenexperimenten ähnliche Fragen gestellt haben, so z.B. Thomas Nagel, der überlegt, ob ein verzweifelter Mann, der seine verletzten Freunde retten will, einem kleinen Jungen Gewalt androhen und ggf. antun darf, um dessen verängstigte Großmutter zur Hilfe zu bewegen. Es gibt davon noch reichlich, und deutlicher versierter, komplexer und länger beschrieben und vor allem diskutiert. Aber das wäre ja Arbeit, sich da hineinzulesen. Noch schlimmer aber, und das, liebe Leser, ist die kleine Botschaft hier: Solche Fragen sind einfach sauschwer zu beantworten. Eben weil es ethische Fragen sind.
Zudem: Moralphilosophische Argumentationen sind teils sehr konkret in die deutsche Rechtsprechung eingegangen, z.B. im Anschluss an 9/11. In Deutschland ist es nämlich verboten, ein Flugzeug allein deshalb abzuschießen, weil eventuell Terroristen es gekapert haben. Warum? Weil alle Insassen einzig als Mittel zum Zweck missbraucht würden – im Grunde genau die Argumentation eines gewissen Immanuel Kant. Ist das nun Recht, oder Gerechtigkeit, richtig oder falsch? Auch das ist schwer zu beantworten, nur eines ist klar: Eine moralphilosophische Haltung ist eindeutig ins deutsche Recht eingegangen.
Ferdinand von Schirach selbst sagte neulich, dass er anders als die meisten Zuschauer abstimmen würde (das ist ja so ein Gimmick seiner Stücke, diese Abstimmung anschließend) und eindeutig das Recht bevorzugt. Die Botschaft dieser Aussage ist: Ich gebe nicht meinen Instinkten nach und halte mich an das Recht. Moralischer Instinkt hier, Recht dort – wieder die Dichotomie, die es nicht gibt. Umso trauriger ist es, dass er damit dem Recht einen Bärendienst erweist, indem er es vermeintlich ethisch „richtigen“ oder zumindest „verständlichen“ Handlungen gegenüberstellt – und es damit massiv diskreditiert, statt es zu verteidigen. Den komplexen Zusammenhang zu beschreiben ist aber natürlich schwere und Arbeit, die sich leider so gar nicht mit billiger Effekthascherei und Talkshows am Sonntag Abend verträgt.  
David Emling

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