Als Philosoph müsste ich Ferdinand von Schirach beinahe dankbar sein, dass er moralische Zwickmühlen auf die Tagesordnung der deutschen Pseudo-Kulturguts-Verwaltung, also des Fernsehens, setzt. Aber eben nur beinahe, denn „die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Warum? Weil das jüngste Werk „Feinde“ in seiner Verengung kaum auszuhalten ist. Die Garnierung des Films bzw. der Filme mit Talkshows etc. tut natürlich sein Übriges.
Was meine ich? Zunächst den kruden binären Code, den dessen Erfinder Niklas Luhmann in der Schirach’schen Einfachheit verabscheut hätte. Was soll ein Gegensatz von Recht oder Gerechtigkeit zur Erkenntnis beitragen? Die Verengung wurde in den Zeitungen der vergangenen Woche fleißig kolportiert. Sicher ein Werbeeffekt, dem der Autor ja aber auch hätte widersprechen können. Hat er aber nicht, und so muss ich davon ausgehen, dass er genau auf diesen Gegensatz (der eben mitnichten einer ist) anspielt. Und es bietet sich ja für eine reißerische Story auch an: Eine Entführung (natürlich ein unschuldiges Mädchen), ein Bösewicht, ein guter Cop, etwas überfordert und selbst mit gleichaltriger Tochter, der Tod des Mädchens, dann die Verhandlung mit schmierigen Anwälten; die eben, und das ist die Botschaft, nur das „Recht“ verteidigen, nicht aber auf der Suche nach „der Gerechtigkeit“ sind. Oder, um dem Titel Rechnung zu tragen: sowohl Anwalt und Polizist sind Feinde, aber eben auch Recht und Gerechtigkeit?! Puh, einmal durchatmen.
Glücklicherweise gibt es in der Philosophiegeschichte allerlei Autoren, die sich mit ähnlichen Gedankenexperimenten ähnliche Fragen gestellt haben, so z.B. Thomas Nagel, der überlegt, ob ein verzweifelter Mann, der seine verletzten Freunde retten will, einem kleinen Jungen Gewalt androhen und ggf. antun darf, um dessen verängstigte Großmutter zur Hilfe zu bewegen. Es gibt davon noch reichlich, und deutlicher versierter, komplexer und länger beschrieben und vor allem diskutiert. Aber das wäre ja Arbeit, sich da hineinzulesen. Noch schlimmer aber, und das, liebe Leser, ist die kleine Botschaft hier: Solche Fragen sind einfach sauschwer zu beantworten. Eben weil es ethische Fragen sind.
Zudem: Moralphilosophische Argumentationen sind teils sehr konkret in die deutsche Rechtsprechung eingegangen, z.B. im Anschluss an 9/11. In Deutschland ist es nämlich verboten, ein Flugzeug allein deshalb abzuschießen, weil eventuell Terroristen es gekapert haben. Warum? Weil alle Insassen einzig als Mittel zum Zweck missbraucht würden – im Grunde genau die Argumentation eines gewissen Immanuel Kant. Ist das nun Recht, oder Gerechtigkeit, richtig oder falsch? Auch das ist schwer zu beantworten, nur eines ist klar: Eine moralphilosophische Haltung ist eindeutig ins deutsche Recht eingegangen.
Ferdinand von Schirach selbst sagte neulich, dass er anders als die meisten Zuschauer abstimmen würde (das ist ja so ein Gimmick seiner Stücke, diese Abstimmung anschließend) und eindeutig das Recht bevorzugt. Die Botschaft dieser Aussage ist: Ich gebe nicht meinen Instinkten nach und halte mich an das Recht. Moralischer Instinkt hier, Recht dort – wieder die Dichotomie, die es nicht gibt. Umso trauriger ist es, dass er damit dem Recht einen Bärendienst erweist, indem er es vermeintlich ethisch „richtigen“ oder zumindest „verständlichen“ Handlungen gegenüberstellt – und es damit massiv diskreditiert, statt es zu verteidigen. Den komplexen Zusammenhang zu beschreiben ist aber natürlich schwere und Arbeit, die sich leider so gar nicht mit billiger Effekthascherei und Talkshows am Sonntag Abend verträgt.
David Emling
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