Wilder Südwesten

Monat: November 2021

Herr Noll ich vermisse Sie (und Ihresgleichen)

Als ich aufwuchs, erfuhr ich von einem großen kulturellen Verlust: der Vernichtung des klaren Gedankens. Man gab mir Kristallklares aus der Vergangenheit zu lesen. Knallharte Schriften, die sich auch gegen die Autoren selbst richteten. Humor lugte dazu aus allen Ecken hervor. Kein Respekt vor großen Namen und allem Schall und Rauch, den es allzeit ja zur Genüge gibt. Sie und Ihresgleichen ließen nicht locker, wenn wieder einmal die Logik verbogen wurde.
Verbrannt haben dann die Unsrigen nicht nur Ihre Bücher und Bilder. Vernichtung war das Ziel. Nicht ganz gelungen, gottseidank, außer hierzulande, dem Ursprung des Unheils.
Ein neues Biedermeier hielt Einzug ins unheimelige Haus. Betschwestern und –brüder nickten sich fleißig in ihren Talaren, später Jeans, zu, dabei jeden scharfen Gedanken meidend wie die Pest.
Herr Noll, Sie und die wenigen Ihresgleichen, die noch auf meine unheimelige Heimat mit scharfer Liebe schauen, auch wenn Sie selbst im Exil sind, ich vermisse Sie jeden Tag mehr und mehr.

Peter Ph. Mohler

Noll, Chaim: „Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel“ ist hier im Achgut.com-Shop sofort bestellbar.

 

Speach Act oder der reale Akt?

Wie sagt Fischer immer wieder? „Ich bringe dich um“ ist strafrechtlich gesehen, kein Mord. Gleichwohl, es ist eine Formulierung im Indikativ und könnte die Beschreibung eines akutellen Vorganges sein. Könnte. Und selbst wenn, der Richterschaft ist es wurscht, ob die Mörderin die Durchführung ihrer Tat sprachlich begleitet. So gesehen war die Sprache ebenso, wie die Gedanken frei. Aber das war einmal in der guten alten Zeit, so vor 5 Jahren, sagen einige aus der Minderheitsfraktion, die wahrscheinlich die schweigende Mehrheit repräsentieren oder auch nicht, wer weiß das schon.
Es gilt das gesprochene Wort, aha. „Die Rente ist sicher“, ein typischer Speach Act (Sprachhandlung), auf den keine Rentnerin etwas gibt, weil sie ihren Rentenbescheid kennt, denn dort steht die tatsächliche Handlung, die zu einer Banküberweisung führt.
Was geschieht, wenn man eine Sprachhandlung wie, „ich haue Dir Eine runter“ mit einer Ohrfeige etc. gleichsetzt? Dann brennt das Ohr, dann schreie ich vor Schmerz und verlange Schadenersatz.
Wahrscheinlich lacht jetzt jeder über diese, ja was, Absurdität? Wer bei Youtube, Facebook und Genossen wegen solcher Sprachhandlungen abgeschaltet wird, hat da wenig zu lachen.
Alles eine große Dummheit? Oder doch nicht? Ist das, was derzeit so herumspukt, etwa ein Beispiel für den Schaden, den eine unschuldige Theorie der Sprache durch Ignoranten anrichten kann? Eigentlich nicht. Denn Sprache kann gewalttätig sein. Drohungen aller Art wirken. Aber: bitte jetzt mal den Kontext. Wann wirkt eine Drohung? Wann verführt eine falsche Ideologie (gibt’s ja eigentlich nicht, weil alle Ideologie falsch ist, na ja)?
Und jetzt wird es leicht spannend, denn wer bestimmt den Kontext? Die Sprecherin oder der Hörer? Bitte entscheiden Sie!
„Du bist ein so liebes Arschloch“ – Beleidigung wann, wann nicht, wann Bettgeflüster? Wann der Hauch einer Enttäuschung? Herrlich, was man alles für Kontexte für einen Satz finden kann. Eigentlich ein wunderbares Sprachspiel, aber das sind wieder andere Theorien.  Bleiben wir beim Speach Act, der oft unbefriedigend bleibt, wenn die damit gemeinte physische Handlung ausfällt. So etwa das amerikanische „let’s do lunch“.
Ein, wie ich mich zu erinnern glaube, jüdischer Satz, „es gibt kein Verbrechen, das nicht zuvor aufgeschrieben wurde“, wirkt schon. Zumindest bei mir.
Also worum geht es hier und heute? Ob wir es wollen oder nicht, hat die Wiedervereinigung auch Folgen für das verändert, was öffentlich aussprechbar ist. Tabus, wie Judenhass, lösten sich auf. Zugleich sprang die amerikanische Angst, harte Fakten auszusprechen, auf uns über. Und dann kam das Netz. Das ist öffentlich – und wie! Wie ein Stammtisch mit Pissoir in einem Raum, kurz, das stinkt.
Und jetzt? Wir sind alle auf der Suche nach Tabus, nach den Grenzen des öffentlich Aussprechbaren. „Scheiße sagt man nicht“ flöten die Enkel strahlend, wohl wissend, wie viel Spaß dieser Satz bringt. Auch wollen wir privates Geplapper und Plaudern vom öffentlich Gesagten sehr genau unterscheiden. Und so wollen wir das alle halten, fröhlich die Grenzen austesten und Youtube etc. einfach links liegen lassen, es hört dort doch niemand zu, auf den wir Wert legen würden, oder?
Peter Mohler

Trauma 2021

Da steht sie vor mir, die Krankenpflegerin, geimpft und doch war sie von Corona heftig gebeutelt. Gedämpft und heute geschützt durch FFP 2 erzählt sie, wie es ihr erging. Wie sie eine fast volle Ladung Viren abbekam, schwerlich gebremst durch die einfache OP-Maske.
Da steht er vor mir, der Kollege, der seine todkranke Angehörige weder fühlen noch sehen durfte, egal, ob er das Risiko der Ansteckung auf sich nehmen wollte oder nicht.
In der Luft hängen noch die stummen Schreie nach Zuwendung, die verzweifelten Gebete nach Nähe, die laute Trauer der Ausgesperrten.
Welcher Teufel ist in uns gefahren? Wieso konnten wir unsere Menschlichkeit so leicht aufgeben? Warum standen wir nicht für einander ein?
Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?
Hier bei und unter uns.
Was für ein Elend.

Philipp Frankfurter

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