Jetzt muss die gesamte Umfrageforschung die Suppe auslöffeln, die ihr Spiegel, Welt und Co. eingebrockt haben. Zur Suppenküche der Umfrageforschung haben wir hier das Notwendige gesagt. Auch zur fraglichen Qualität gewisser sogenannter Institute hier.
Was zuletzt bei den Prognosen für die Wahl in Sachsen-Anhalt daneben ging, hat Jürgen Kaube in der FAZ vom 7. Juni 21 ein „demoskopisches Desaster“ genannt. Die schwache Ausrede läßt der Spiegel von einem Westdeutschen Wahlforscher so formulieren: Ostdeutschland (typischer Wessibegriff) sei halt „einfach ein Sonderfall“hier.
Aus einem Kopf-an-Kopf-Rennen wurde, oh Schreck lass nach, ein Kantersieg. Große Aufregung. Wieso die Aufregung? Wann gab es denn in den letzten Jahren die Prognose eines Kantersieges außer bei Wahlen in Diktaturen?
Mir wenigstens ist aus den letzten Jahren keine bedeutende Wahl in Deutschland oder Amerika erinnerlich, bei der nicht von einem „engen Rennen“ gesprochen wurde. So eng, dass mindestens zwei Parteien so eng miteinander verbunden waren, wie die Köpfe der Fenmine. Und wenn dann das sogenannte Rennen, welch aberwitziger Begriff für die öffentliche Bewerbung um Millionen Stimmen, anders ausging, wurde ganz leise über die schwierigen Umstände gejammert oder eine Kommission eingesetzt die viele Monate später auch nichts genaues herausfand. Denn, weil die Welt so schwierig, so undurchsichtig geworden sei, hätte man nicht klar sehen können was da kommt. Früher sei das alles viel klarer gewesen, sagt man. Oder, man plaudert von „self fulfilling prophecy“. Die Wählerschaft hätte auf die Prognosen in letzter Minute noch mal schnell reagiert. Ausreden für mangelnde Qualität gab es schon immer und gibt es immer noch genug, wie Mohler hier 2008 launig erzählte.
Was soll man da noch sagen? Ist die Umfrageforschung am Ende? Nein, bitte nicht die Hype Wahlumfrage in einen Topf mit demokratienotwendiger Armutsforschung, Bildungsforschung oder Werteforschung und so weiter in einen Topf werfen.
Schauen wir stattdessen mal auf die Kundschaft der Wahlumfragen in unseren Zeiten, wo wie überall gilt: „wer zahlt, sagt an“.
Die Auftraggeber sind Medien. Ganz prominent die Umfragen der öffentlich rechtlichen Anstalten oder die mutmaßlichen Umfragen von Spiegel und Welt. Die zahlen das nicht aus Nächstenliebe, sondern, um damit Geld zu verdienen (ja, auch die Öffentlich Rechtlichen machen Knete über Zuschauerquote, zumindest vor 20 Uhr). Übrigens im Ende sind wir die Kunden, die spannend von den Medien bedient werden wollen und bedient werden. Dafür zahlen wir mit Informationsverlust.
Das war nicht immer so. Vor mehr als einem halben Jahrhundert konnte man auch in Deutschland einen fundamentalen Wandel in der Medienlandschaft beobachten. Bei Nachrichten war bis dahin das emotionslose Verlesen von Neuigkeiten im Stile eines Wasserstandsberichtes der sogenannte Gold Standard. Klassisch die soliden Vorträge der Tagesschau. Heiß her ging es dagegen in den Meinungsspalten. Insgesamt wurde so gut wie möglich zwischen Nachricht und Meinung getrennt. Gelegentlich sogar heftig darüber gestritten.
Aber dann kam Infotainment. Auch die Tagesschau und Heute sollten mit „Unterhaltungswert“ aufgepeppt werden. Das ZDF ersetzte damals seine Sprecher durch „Redakteure im Studio“. Da setzte die ewige Jagd auf die Goldwährung Quote ein. Keine Nachrichtensendung mehr ohne Mord und Totschlag oder mindestens ein Feuer vor der Wettervorhersage, das gab so schöne Bilder.
Und heute? Werden Themen aufgemotzt mit Direktschaltung in den Brennofen des Lebens, verschämt verbrämt mit kurzen vorgelesenen Nichtigkeiten.
Meint da irgend noch jemand, man könne Tag für Tag eine Sendung oder Zeitung mit der Schlagzeile aufmachen „Adenauer wird die Wahl sicher gewinnen“. Das lesen weder Sie noch ich. Nein, wir lechzen nach Spannung und die verspricht ein Kopf-an-Kopf –Rennen. Spannung bis zum letzten Moment, das wollen wir doch, oder? Wie dämlich müssten die Medien sein, uns nicht das zu liefern, nach dem wir lechzen?
Selbst wenn das mal so deutlich wie in Sachsen-Anhalt in die Hose geht, kann man aus den Ausreden noch eine Menge Geld/Quote holen.
Also, worüber beschweren wir uns? Dass wir bekommen, was wir wollen?
Philipp Frankfurter
*Fenmine – doppelköpfige Drachenfabelwesen auch Amphisbaena genannt
Schreibe einen Kommentar