Vor Jahrzehnten meinte ein eifriger Spiegelleser, er habe dem Spiegel vertraut, bis er etwas las, von dem er selbst etwas verstand. Daran erinnerte ich mich spontan, als ich bei www.achgut.com einen Beitrag mit dem aufweckenden Titel „Wahlumfragen: Von Irrtümern und selbsterfüllenden Orakeln“ las.
So etwas (bitte setzen Sie selbst etwas Unflätiges ein) ist mir schon lange nicht untergekommen. So von oben herab „1.000 und 2.000 Menschen, die die Institute repräsentativ ausgewählt haben wollen“ –„wollen“ ach herrje, das Verbildungsbürgerdeutsch schlägt zu. Zweifel ohne Begründung? Geht gar nicht. Doch bei Achgut.com geht es durch die Lappen der Redaktion.
Unkenntnis schützt nicht vor Dummheit: „Bei den Umfragen lassen die meisten Medien weg, dass eben nur ein paar hundert Menschen befragt wurden und setzen das vermeintliche Ergebnis mit einem realen Wahlergebnis gleich.“ Warum ist das ein dummer Satz? Weil der Autor den Kern der statistischen Wahrscheinlichkeit nicht verstanden hat. Es ist halt so, dass die Genauigkeit von Stichproben nicht linear mit der Zahl der Messpunkte (hier Befragte) wächst. So ab 1.000 Befragten sinkt der Zuwachs an Genauigkeit rapide ab. Oder anders gesagt, die als „Fehlertoleranz“ ausgewiesenen Prozentzahlen sinken kaum noch ab. Es wäre unwirtschaftlich, 10.000 zu befragen. Das Ganze hängt allerdings davon ab, wie gut die 1.000 Befragten ausgewählt wurden (übrigens ist das ein Kardinalfehler vieler Onlinebefragungen, hohe Fallzahlen mit Genauigkeit zu verwechseln). Und übrigens zum Zweiten, kein Institut verwechselt eine Umfrage mit einer Wahl.
Und noch so ein Ding: „Die Repräsentativität wird dabei durch so signifikante Kennziffern wie die Telefonnummer und den Geburtstag hergestellt.“ Was soll das: „so signifikante Kennziffern“? Die einzige Bedeutung (Signifikanz) der Telefonnummer ist, ja was? Dass man damit Leute anrufen kann, um eine Telefonumfrage machen zu können. Und der Geburtstag? Ist ein technisches Hilfsmittel, um in einem Haushalt unter mehreren Leuten jemand zufällig auszusuchen (das Merkmal „wer hatte zuletzt in Ihrem Haushalt Geburtstag“ ist hinreichend zufällig verteilt).
Jetzt reicht’s mir. Nein, noch einen drauf: „Die Ergebnisse der Umfragen differieren zu stark und keine Umfrage trifft den Mittelwert“. Mein Gott, hilf mir, nicht ausfällig zu werden. Der Mittelwert ist ein berechneter Wert, kein gemessener. Man kann den Mittelwert nicht „treffen“, man kann ihn nur berechnen und die Spannweite zwischen Mittelwert und anderen Werten betrachten.
Was mache ich nun aus dem Unsinn? Ich zweifle sehr an der Qualität von achgut.com, wenn deren Redaktion so etwas durchgehen lässt. Aus der Traum vom guten Journalismus. Lese den Spiegel, die Faz, die Zeit und vielerlei Geblogtes und dennoch: Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor!
Peter Mohler
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