Wilder Südwesten

Schlagwort: Literatur

Ich schreibe, also bin ich.

Was Schreiben heute bedeutet? Es ist ja nicht gerade so, dass diese Frage noch niemand gestellt hätte. Als ob es dazu nicht schon genügend Antworten gäbe. Aber vielleicht nur genug ungenügende. Warum sonst sollte jetzt auch noch David Emling das fragen? Nur um seinen Blog zu füllen?

David Emling habe ich in der Darmstädter Textwerkstatt bei Kurt Drawert kennen gelernt. Und schätzen gelernt. David ist nicht der Typ, der fragt, was schon alle gefragt haben, nur weil er es noch nicht gefragt hat. Und doch, so scheint es, hat das Thema ein bisschen diesen Geruch. Oberflächlich gerochen.

Was Schreiben heute bedeutet, weiß ich nicht. Interessiert mich auch nicht. Was David Emling Schreiben bedeutet oder Kurt Drawert, gestern, vorgestern oder morgen und von mir aus auch heute, das interessiert mich schon. Warum sie schreiben. Warum ich schreibe. Grundsätzlich, generell und überhaupt. Oder ganz konkret was. Und warum. Und warum gerade das, was, usw.. Das riecht nach frischer Erkenntnis.

Warum ich schreibe? Ich weiß, warum ich heute schreibe. Heute, an diesem trüben, nassen Dezembermorgen, dem Tag 0 vor dem Tag 1 der neuen Lockdown-Zeitrechnung. Ich schreibe, weil David mich gefragt hat. Und weil ich noch keine Lust habe, mit meinem Tagesgeschäften anzufangen. Die auch was mit Schreiben zu tun haben. Auftragsarbeiten. Die nix mit mir zu tun haben. Außer dass ich mit ihnen zu tun habe.

Aber warum schreibe ich, wenn ich schreibe, ohne einen Auftrag zu haben? Was treibt mich an? Wer oder was ist mein innerer Auftraggeber?

Warum schreibt ihr? Kurt Drawerts Frage auf einem Textwerkstattseminar an einem trüben Novemberwochenende in einem ähnlich trüben Seminarhotel. Klar, diese Frage gehört zum guten Geruch eines jeden Schreibseminars. Riecht nach Besinnungsübung. Schreibt es auf, sagte Kurt Drawert, ihr habt Zeit bis zur Kaffeepause. Und wir Textwerkstättler schrieben. Ich schrieb:

„Warum ich schreibe, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Trotzdem schreibe ich ziemlich viel, in der Summe, in der Rückschau betrachtet. Die Menge liegt möglicherweise an der Themenvielfalt, die Themenvielfalt möglicherweise daran, dass ich gar kein Thema habe. Jedenfalls kein bestimmtes lebensbegleitend existenzielles, das nach Aufarbeitung schreit. Möglicherweise steckt es ja noch zu tief im Inneren, so dass ich den Schrei nicht höre, nicht hören kann oder nicht hören will. Vielleicht komme ich also der Sache näher, wenn ich darüber nachdenke, was mich spontan zum Schreiben impulsiert.
Lust an der Sprache, Lust am Sprachwitz, an der Verfremdung, minimalinvasive Eingriffe ins Buchstabengefüge, die plötzlich einen hintergründigen Sinnkontext offenbaren. Assoziatives, Ironisches. Und immer mit mindestens doppelter, besser dreifacher Bodenlosigkeit.
Lust an der Formvorgabe, je enger, je lieber. Klassische Formen, je komplexer, je ehrgeizweckender. Ein Namensanagrammgedicht z.B. führt mich in einen zwischenbewussten Trancezustand, schaltet alle Synapsenampeln auf grün.
Lust an der Verdichtung, Minimalisierungen, Pointierungen. Kurzfassungen, das, wozu mir in der mündlichen Kommunikation zumeist die Disziplin fehlt. Oder die Disziplin zumindest kleiner ist als die narzisstische Neigung zur Selbstinszenierung. Entschuldigung, ich hatte nicht genügend Zeit, mich kurz zu fassen. Erich Kästner. Eines meiner seiner Lieblingszitate, nach diesem: Der Abend begann um halb acht. Als ich um halb elf auf die Uhr sah, war es halb neun. Ich hasse Lageweile. Außer wenn ich mit mir alleine bin.
Letztlich kommentiere ich lieber, bleibe damit außen vor. Und das ist dann doch vielleicht die Spur, die zur Innerlichkeit führt. Ich hatte nie das Gefühl, wirklich dazu zu gehören. Eine Not von frühster Kindheit an, aus der sich möglicherweise eine Tugend entwickelt hat. Die Not gibt es nur noch in meinen nicht sprachspielerischen Gedichten.
Ich schreibe nicht wg. des Prozesses, sondern für das Produkt. Und ich schreibe nicht für mich selbst. Aber möglicherweise passt diese Aussage genau an dieser Stelle nicht mehr: Ohne das Wissen, dass ein Dritter oder viele Dritte meine Texte lesen, würde ich sicher nichts schreiben. Was vielleicht auch nicht mehr stimmt. Auch nicht zur Bereicherung meiner Therapieakte. Was ganz bestimmt stimmt.
Schreiben ist die Ermöglichung eines ungleichzeitigen Dialogs. Gleichzeitig beginnt beim Schreiben mein Dialog in mir mit mir selbst. Und könnte gerade jetzt spannend werden.

Doch da kommt Kurt und es gibt Kaffee.“

Mein Kaffee im Hier und Jetzt ist kalt geworden. Und es gibt Kaffee auch nicht, ich muss mir einen machen. Das ist weiter kein Problem. Aufstehen, Kaffeetasse unterstellen, Knopf drücken.

Kaffee riecht nicht, Kaffee duftet nach frischer Erkenntnis. Draußen wird es langsam heller. Die Straßenlaternen sind ausgegangen. Und mir die Muse. Ich bin nicht mehr geneigt zu schreiben, was ich nicht muss. Die Pflicht ruft. Ich weiß noch nicht genau, was ich schreiben werde und nur ein bisschen, wie ich es anfange, aber ich weiß worüber. Und somit, was mir das Schreiben heute bedeutet.

Ich bin, also schreibe ich.
© Michael Hüttenberger – 20201215

Für was ich schreibe.

Ich schreibe, damit die Leser das vor sich haben, was ich hinter mir habe. Nie habe ich verstanden, wie man Stephen King als Nachtlektüre genießen kann. Ich mag mich nicht gruseln, das Leben ist gruselig genug. Aber wenn es denn schon Leute gibt, die sich noch vor Mitternacht voller Schauer über das grimmige Leben Texte reinziehen, warum dann nicht meine? Also schreibe ich, was mich bedrückt, was mir auf der Seele liegt. Ich schreibe es mir von der Seele und werfe es denen, die nichts zu bedrücken scheint, zu ihrer Wollust hin. Dann habe ich es hinter mir bis zum nächsten Mal.
Philipp Frankfurter

Lasst uns erzählen!

Erzählt wird hier ohne Ende. In loser Reihenfolge werden Autoren und Literaten zu Wort kommen, die ihre ganz eigene Vorstellung davon haben, was Schreiben heute bedeutet, leisten kann, sein muss und, ja, sein darf.

Marcel  Reich-Ranicki sagte mal im  „Literarischen Quartett“, Autoren müssten nicht zwangsläufig über große gesellschaftliche Ereignisse schreiben (es ging um „Ein weites Feld“ von Günter Grass, Thema ist unter anderem die Wiedervereinigung). Sie sollten aber dringlich über ihre Erlebnisse schreiben, das, was sie im Innersten bewege. Alleine durch diese Schilderungen tröpfeln stückchenweise auch wesentliche Informationen über die jeweilige Epoche  durch. Wenn das klappt, ist ein Text gelungen.

Genau darum geht es hier. Auf tausend verschiedene Arten, subtil und knackig-kurz in einer Kurzgeschichte, ausformuliert, gar episch und durch die Brille vieler Akteure in einem Roman, nur angedeutet, symbolisch, geheimnisvoll, oder mit der ganz besonderen Sprache der Lyrik. Alles mit der Absicht, dem Leser etwas zu erzählen. Es gibt nämlich so etwas wie eine Übereinkunft zwischen Leser und Autor, die am Beginn eines Buches steht, und das ist der Vertrauensvorschuss des Lesers, sich nun auf das einzulassen, was der Autor erzählen will.

Enttäuschen wir die Leser also nicht. Beginnen wir zu erzählen.

David Emling

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