Wilder Südwesten

Schlagwort: Resilienz

Demokratien sind nicht resilient

Richard Farson, den Namen sollten Sie sich merken. Vor fast dreißig Jahren schrieb er alles auf, was Managern an paradoxem so widerfahren kann. Etwa, dass die gute Managerin nicht der Versuchung erliegt darf, sie sei „in control“, habe also alles fest im Griff.* Das führt unweigerlich ins Unglück. Oder, dass es so etwas wie „Overcommunication“ gäbe, was man auch als Kommunikationskakophonie beschreiben könne. Experimente haben gezeigt, dass „auf allen Kanälen funken“, die Problemlösungsfähigkeit von Gruppen negativ beeinflusst. Vor allem, eines der paradoxesten, verstörendsten Ergebnisse moderner Sozialforschung, das Richard Farson beschreibt, ist die geringe Widerstandskraft von Organisationen oder Institutionen.** Denken Sie an eine Beziehung. Schon eine dumme Bemerkung kann eine Beziehung in Frage stellen oder gar zerstören.*** Es zeigt sich, Menschen haben die Fähigkeit wieder aufzustehen, wenn sie hingefallen sind. Organisationen dagegen nicht.
Das erschreckende ist, dass auch Staaten und Nationen genauso wie Organisationen schnell auseinanderfallen können. Natürlich freuen wir uns nachträglich über den blitzartigen Zusammenbruch des Ostblocks als totalitärem System. Demokratien kann so etwas doch nicht passieren, oder? Denken Sie an die Weimarer Republik: in weniger als 90 Tagen war aus einer demokratischen Verfassung ein totalitäres Machtinstrument geworden.
Wir Deutschen haben im 20. Jahrhundert viel erlebt und verbrochen. Und viele haben unwahrscheinliches Glück gehabt: 1945 wurden nicht alle von uns in die Arktis deportiert, einem Teil des Deutschen Reiches wurde die Demokratie in die Wiege zum neuen Anfang gelegt, nur 40 Jahre später kam der zweite Teil dazu.
Und heute? Das politische Führungspersonal ist dem Irrglauben verfallen „to be in control“ sein zu müssen. Kreuz und quer wird unkoordiniert kommuniziert, werden ganze, für die Demokratie zentrale Wissenschaftsbereiche wie Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaft von undemokratisch organisierten, hierarchisch verfassten Laborwissenschaften am Gängelband geführt. Abgeschaltet wurden Bildung, Kultur, Sport, Geselligkeit, freies Wirtschaften, kurz das Menschsein. Gegenteilige Meinungen werden niedergebrüllt, gedemütigt, in modernen Schauprozessen zu Geständnissen gebracht. Gleichzeitig sehen radikale Radaubrüder und –schwestern ihre Chance gekommen, von links, rechts, oben und unten auf die Demokratie zu hauen, am liebsten, wenn diese eine Polizeiuniform trägt. Demokratie verträgt keine Gesinnungsübeltäter. Daran geht sie zugrunde. Demokratien, auch unsere, sind nicht resilient. Sie können ebenso zusammenbrechen wie Diktaturen. Das gilt auch in einer Pandemie.
Peter Mohler
*Richard Farson, Management of the Absurd – Paradoxes in Leadership. New York, 1996/1997, S. 38
** S. 89
*** David Emling weist notorisch darauf hin

Institutionen sind nicht resilient

Wo ist die Sowjetunion? Hoechst? Fort und weg und vergessen.  Nicht so die Menschen in der Sowjetunion oder Arbeiter von Hoechst. Sie haben das „Abschalten“ eines Staates oder einer Fabrik überlebt, so wie viele Menschen schwere und schwerste Erlebnisse überleben, weiterleben, sogar vorwärtskommen. Das ist soweit nichts Neues.
Warum erwähne ich das hier und heute? Weil der Lockdown ein Institutionenkiller ersten Grades werden kann, wenn nicht schon ist. Wird es noch mal Martinsumzüge geben? Wird sich nochmal eine Gruppe aufraffen den örtlichen Gesangsverein wiederzubeleben? Findet sich jemand, der die kleine Kneipe übernimmt? Verlieren sich Freundschaften und Bekanntschaften im Coronanirwana?
Und dann die Kultur, das Sparschwein der Politik. Immer wenn man zu viel Geld für Pomp und Unsinn ausgegeben hat, wird an der Kultur gespart. Egal, wie viel Mühe und Kraft es gekostet hat die ganz kleinen, größeren und ganz großen Kulturinstitutionen auf die Beine zu stellen und jahrzehntelang prosperieren zu lassen.
Leute passt auf, das kann ein neuer kultureller Todesreigen werden, nehmt das bitte ernst.
Philipp Frankfurter

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