Was wäre Navigieren heute ohne Instrumente? Wir kämen nicht bei Franz in Rose Street, Key West, rechtzeitig zur Weihnachtsfeier an – wenn überhaupt, Fliegen wäre nur sicher bei Sonnenschein, aber nicht gegen die Sonne, Schiffe strandeten allerorten, wo sie nicht sein wollten.
Jedoch, in dieser Pandemie sind wir der festen Überzeugung ohne Instrumente unseren Weg ganz sicher zu finden.
Die Geschichte der Wissenschaft ist voller scheinbar putziger Anekdoten über instrumentenfreie blindwütige Katastrophen. So etwa Folgende: eine britische Armada ist auf Heimfahrt, Herr Admiral gibt Befehl „da lang“, der Obermaat räuspert sich und meint, „da lang“ seien Untiefen. Damals war Widerspruch ein todeswürdiges Verbrechen. Also wurde der Obermaat kurzerhand an der Rah aufgeknüpft. Dadurch entging er allerdings dem kläglichen Ersaufen, alldieweil in der stürmischen nächsten Nacht die herrliche admiralblindgesteuerte Armada auf die besagten Untiefen lief und absoff.
Warum? Das war die Zeit, bevor es genaue Längenmessungen (Längengrad/Breitengrad) mittels exakter Uhren gab. Man konnte zwar den Breitengrad gut bestimmen, aber wo man da gerade war, ob in Berlin, Paris oder Warschau, musste man irgendwie abschätzen. Und da galt halt des Admirals Meinung mehr als des Obermaat Erinnerung.
Heute heißt solches Abschätzen „Modellieren“. Das heißt, ich versuche vernünftige Annahmen über die Geschwindigkeit und Richtungswechsel meines Schiffes zu machen, um dann abzuschätzen, wo ich in zehn Stunden sein könnte, aber nicht unbedingt sein muss, siehe oben.
Und was hat das mit heute und Corona zu tun? Alles. Beispiel: heute sind in einem amerikanischen Bundesstaat 2 Omicron Corona Fälle festgestellt worden. Zufällig, weil zufällig per Test erfasst. Nicht systematisch im Rahmen eines engmaschigen dauernden Beobachtungsystems. Nur dann wüsste man, ob 2 viel oder mehr oder weniger nichts ist.
So ein dauerhaftes Beobachtungssystem wären sehr große Bevölkerungsstichproben, wo sagen wir, 1 Million Menschen zweimal die Woche getestet werden und auf Corona Kontakte befragt werden usw. Man kann sich das wie eine engmaschiges Netz vorstellen, in dem die relativ wenigen Fälle Corona positiv Getesteter systematisch gefunden werden. Warum „wenige Fälle“? Sind 70.000 pro Tag nicht eine enorm große Zahl. Im Prinzip ja, sehr groß, doch bezogen auf 80.000.000 Einwohner nur 0,08%, die sich bis auf Hotspots übers ganze Land verteilen (rechnerisch 223 pro Quadratkilometer).
Wenn man weiß, wo man die Einwohner üblicherweise findet, also in Gemeinden und Städten, ist es allerdings relativ einfach, eine angemessene Stichprobe für eine „Coronadauerbeobachtung“ zu planen. Für, an den übrigen Coronakosten gemessen, kleines Geld könnte man dann sein Meßinstrument bauen, nutzen und dann die Untiefen der wechselhaften Lockdowns durch exaktes Ausloten vermeiden. Natürlich wäre das mit Anstrengung verbunden, denn ein Messen indem man mit Menschen Kontakt aufnimmt und mit ihnen kommuniziert, erfordert Kraft, Einfühlungsvermögen, Geduld und größte Beharrlichkeit. Dies ist nicht jeder Wissenschaftlerin gegeben.
Sind ja neugierige Leute, diese Wissenschaftler, oft menschenscheu und ungeduldig.
Deshalb lieber im warmen Stübchen den Computer anwerfen, sich ein paar lauwarme Gedanken machen, was denn so der Fall sein kann, im Web nach Zahlen suchen, die wie Daten aussehen, aber keine sind, weil nicht „gegeben“ (datum), sondern „erdacht“, „erzettelt“ oder „erzählt“ sind. Was diese Zahlen mit gemessenen Daten gemeinsam haben ist alleine ihre Form, also „1234567890“, damit kann man den Computer gut täuschen.
Das ist nicht meine Welt, Frau Admiralin, ich will keinen Blindflug ohne Instrumente, ich will exakte Daten. Und, „da geht’s lang“ modelliert, da ist mit Verlaub gesagt in meiner Erinnerung eine Untiefe. Ihr könnt mich jetzt für meine unbotmäßige Meßsucht hängen, aber das ist mir dann doch lieber, als demnächst elendiglich zu ersaufen.
Philipp Frankfurter
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