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Wilder Südwesten

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Fenmine – das Ende der Umfrageforschung?*

Jetzt muss die gesamte Umfrageforschung die Suppe auslöffeln, die ihr Spiegel, Welt und Co. eingebrockt haben. Zur Suppenküche der Umfrageforschung haben wir hier das Notwendige gesagt. Auch zur fraglichen Qualität gewisser sogenannter Institute hier.
Was zuletzt bei den Prognosen für die Wahl in Sachsen-Anhalt daneben ging, hat Jürgen Kaube in der FAZ vom 7. Juni 21 ein „demoskopisches Desaster“ genannt. Die schwache Ausrede läßt der Spiegel von einem Westdeutschen Wahlforscher so formulieren: Ostdeutschland (typischer Wessibegriff) sei halt „einfach ein Sonderfall“hier.
Aus einem Kopf-an-Kopf-Rennen wurde, oh Schreck lass nach, ein Kantersieg. Große Aufregung. Wieso die Aufregung? Wann gab es denn in den letzten Jahren die Prognose eines Kantersieges außer bei Wahlen in Diktaturen?
Mir wenigstens ist aus den letzten Jahren keine bedeutende Wahl in Deutschland oder Amerika erinnerlich, bei der nicht von einem „engen Rennen“ gesprochen wurde. So eng, dass mindestens zwei Parteien so eng miteinander verbunden waren, wie die Köpfe der Fenmine. Und wenn dann das sogenannte Rennen, welch aberwitziger Begriff für die öffentliche Bewerbung um Millionen Stimmen,  anders ausging, wurde ganz leise über die schwierigen Umstände gejammert oder eine Kommission eingesetzt die viele Monate später auch nichts genaues herausfand. Denn, weil die Welt so schwierig, so undurchsichtig geworden sei,  hätte man nicht klar sehen können was da kommt. Früher sei das alles viel klarer gewesen, sagt man. Oder, man plaudert von „self fulfilling prophecy“. Die Wählerschaft hätte auf die Prognosen in letzter Minute noch mal schnell reagiert. Ausreden für mangelnde Qualität gab es schon immer und gibt es immer noch genug, wie Mohler hier 2008 launig  erzählte.
Was soll man da noch sagen? Ist die Umfrageforschung am Ende? Nein, bitte nicht die Hype Wahlumfrage in einen Topf mit demokratienotwendiger Armutsforschung, Bildungsforschung oder Werteforschung und so weiter in einen Topf werfen.
Schauen wir stattdessen mal auf die Kundschaft der Wahlumfragen in unseren Zeiten, wo wie überall gilt: „wer zahlt, sagt an“.
Die Auftraggeber sind Medien. Ganz prominent die Umfragen der öffentlich rechtlichen Anstalten oder die mutmaßlichen Umfragen von Spiegel und Welt. Die zahlen das nicht aus Nächstenliebe, sondern, um damit Geld zu verdienen (ja, auch die Öffentlich Rechtlichen machen Knete über Zuschauerquote, zumindest vor 20 Uhr). Übrigens im Ende sind wir die Kunden, die spannend von den Medien bedient werden wollen und bedient werden. Dafür zahlen wir mit Informationsverlust.
Das war nicht immer so. Vor mehr als einem halben Jahrhundert konnte man auch in Deutschland einen fundamentalen Wandel in der Medienlandschaft beobachten. Bei Nachrichten war bis dahin das emotionslose Verlesen von Neuigkeiten im Stile eines Wasserstandsberichtes der sogenannte Gold Standard. Klassisch die soliden Vorträge der Tagesschau. Heiß her ging es dagegen in den Meinungsspalten. Insgesamt wurde so gut wie möglich zwischen Nachricht und Meinung getrennt. Gelegentlich sogar heftig darüber gestritten.
Aber dann kam Infotainment. Auch die Tagesschau und Heute sollten mit „Unterhaltungswert“ aufgepeppt werden. Das ZDF ersetzte damals seine Sprecher durch „Redakteure im Studio“. Da setzte die ewige Jagd auf die Goldwährung Quote ein. Keine Nachrichtensendung  mehr ohne Mord und Totschlag oder mindestens ein Feuer vor der Wettervorhersage, das gab so schöne Bilder.
Und heute? Werden Themen aufgemotzt mit Direktschaltung in den Brennofen des Lebens, verschämt verbrämt mit kurzen vorgelesenen Nichtigkeiten.
Meint da irgend noch jemand, man könne Tag für Tag eine Sendung oder Zeitung mit der Schlagzeile aufmachen „Adenauer wird die Wahl sicher gewinnen“. Das lesen weder Sie noch ich. Nein, wir lechzen nach Spannung und die verspricht ein Kopf-an-Kopf –Rennen. Spannung bis zum letzten Moment, das wollen wir doch, oder? Wie dämlich müssten die Medien sein, uns nicht das zu liefern, nach dem wir lechzen?
Selbst wenn das mal so deutlich wie in Sachsen-Anhalt in die Hose geht, kann man aus den Ausreden noch eine Menge Geld/Quote holen.
Also, worüber beschweren wir uns? Dass wir bekommen, was wir wollen?
Philipp Frankfurter
*Fenmine – doppelköpfige Drachenfabelwesen auch Amphisbaena genannt

 

Fit for the intended use

Da sitze ich und löffle genüsslich einen wunderbar künstlichen Joghurt (warum mit h und nicht mit y?) aus dem Glas. Ach wie zeitgemäß ich doch bin. Kein Plastik, nur Metall und Glas. Da fällt mein Auge auf die Banderole: „Um das Glas nicht zu beschädigen, bitte keinen Metalllöffel zum Verzehr verwenden. Bitte Pfandglas ausgespült mit Verschluss zurückgeben.“
Da fällt mir doch glatt der Löffel ins Glas zurück. Soll ich etwa einen Plastiklöffel nehmen? Oder den uralten perlmutternen? Ja, was ist denn das? Ein Glasbecher aus billigstem Pressglas ist nicht löffelfest? Muss ich als Kunde schon wieder die Unfähigkeit der Hersteller ausgleichen?
Aus meiner kleinen Weltsicht ist der Glasbecher ungeeignet für seinen Verwendungszweck als Joghurtbehältnis (wenn ich den Inhalt vor dem Verzehr umfüllen sollte, warum ist dann der Becher oben so eng, dass ich gerade so mit einem Esslöffel hineinkomme und die letzten 10% nur mit dem Finger herauspfrimeln kann?).
Qualität wird heutzutage als „fitness for the intended use“ (für den vorgesehenen Zweck geeignet) definiert. Die Qualität eines Joghurtbechers sollte demnach sein, ein Nahrungsmittel unverdorben an die Esser zu bringen und das so, dass man das Nahrungsmittel mit minimalem Aufwand verzehren kann. Dazu gehört ein beliebiger Löffel oder Spatel und auch nicht die Notwendigkeit, die Verpackung nach Gebrauch sauber zu spülen.
Stattdessen sieht das Glas aus wie eine altmodische Milchkanne, deren Verschluss in der Spülmaschine gerne durch den Rost fällt und deren Banderole den Filter der Spülmaschine verstopft. Sie fragen, was hat der Joghurtbecher in der Spülmaschine zu suchen? Er gehört dorthin, dichtgepackt mit allem anderen, weil das die ökologischste, energie- und wassersparendste Art ihn zu reinigen ist, wenn man er Presse glauben darf.
Schauen Sie sich um. Wo wird Ihnen etwas angeboten, das wirklich fit ist? Eigentlich jede Menge, solange es sich nicht um so einzigartige Prestigeartikel wie Joghurt im Glas handelt: Streichhölzer, schlicht in einer Pappverpackung, Butter in Alufolie, Brot in der Tüte, echte E-Mails mit ordentlichem Betreff, solide Politik ohne Notstandsprogramm. Sobald jedoch so etwas wie „Wertigkeit“ dazukommt, es also nicht mehr um die Erdbeere im Joghurt, sondern das „besondere Produkt“ geht, wird die Verpackung wichtiger als der Nutzen.
Wie eine hässliche Schleimspur zieht sich der Wertigkeitvortäuschungsversuch durch unser Leben. Wenige Beispiele: Nachrichten – nicht mehr ohne Infotainment, Auto – nicht mehr ohne Wurzelholz oder Großbildschirm, Nahrungsmittel – nicht mehr ohne Gesundheitspass, Änderung der Verkehrsregeln – nicht ohne Talkshow und Pseudoshitstorm, vor Mitternacht – bitte ohne Lanz.
Ach und bei all dem Übel, bin ich denn fit for the intende use? Oder bin ich gar useless?
Philipp Frankfurter

Emling in der Wortschau

Nr. 37 der Wortschau hat auch einen Emling gewonnen… (http://www.wortschau.com/Hefte/)
Hier ein Auszug : Fenster

Das Licht war noch aus, sie stand im dunklen Schlafzimmer. Blickte durch das Fenster auf die vom Regen glänzende Straße, dahinter die Bäume wie eine schwarze Wand. Der Blick, der am Horizont endete und doch darüber hinauswollte. Unzählige Male war sie dort mit dem Kinderwagen unterwegs gewesen, sah ängstlich in die Kinderschale, ob ihr Junge endlich schlief. Kurze Momente der Ruhe, bevor es wieder von vorne losginge, der Zyklus von Stillen, Wickeln, Schlafenlegen und dazwischen versuchen zu leben. Nach den zermürbenden 19 Stunden, die sie gebraucht hatte, um ihn zur Welt zu bringen, hatte sie verstanden, dass sie nicht wusste, wie es weitergehen würde, nun, da er wirklich da war. Das ist ganz normal, das kommt schon noch, hätte ihre Mutter gesagt. Wie gerne hätte sie sie ein letztes Mal gefragt, wie man werden kann wie sie. So aber sah sie Abend für Abend in das Bettchen und wusste nur, dass sie etwas zu fühlen hatte, das nicht da war.

Jetzt machte sie das Licht an, sah nochmals durch das Fenster, erkannte aber nichts, nur Umrisse ihres Spiegelbildes. Sie nickte der verschwommenen Gestalt im Fenster zu. Es war so weit.

***
David Emling

Demokratien sind nicht resilient

Richard Farson, den Namen sollten Sie sich merken. Vor fast dreißig Jahren schrieb er alles auf, was Managern an paradoxem so widerfahren kann. Etwa, dass die gute Managerin nicht der Versuchung erliegt darf, sie sei „in control“, habe also alles fest im Griff.* Das führt unweigerlich ins Unglück. Oder, dass es so etwas wie „Overcommunication“ gäbe, was man auch als Kommunikationskakophonie beschreiben könne. Experimente haben gezeigt, dass „auf allen Kanälen funken“, die Problemlösungsfähigkeit von Gruppen negativ beeinflusst. Vor allem, eines der paradoxesten, verstörendsten Ergebnisse moderner Sozialforschung, das Richard Farson beschreibt, ist die geringe Widerstandskraft von Organisationen oder Institutionen.** Denken Sie an eine Beziehung. Schon eine dumme Bemerkung kann eine Beziehung in Frage stellen oder gar zerstören.*** Es zeigt sich, Menschen haben die Fähigkeit wieder aufzustehen, wenn sie hingefallen sind. Organisationen dagegen nicht.
Das erschreckende ist, dass auch Staaten und Nationen genauso wie Organisationen schnell auseinanderfallen können. Natürlich freuen wir uns nachträglich über den blitzartigen Zusammenbruch des Ostblocks als totalitärem System. Demokratien kann so etwas doch nicht passieren, oder? Denken Sie an die Weimarer Republik: in weniger als 90 Tagen war aus einer demokratischen Verfassung ein totalitäres Machtinstrument geworden.
Wir Deutschen haben im 20. Jahrhundert viel erlebt und verbrochen. Und viele haben unwahrscheinliches Glück gehabt: 1945 wurden nicht alle von uns in die Arktis deportiert, einem Teil des Deutschen Reiches wurde die Demokratie in die Wiege zum neuen Anfang gelegt, nur 40 Jahre später kam der zweite Teil dazu.
Und heute? Das politische Führungspersonal ist dem Irrglauben verfallen „to be in control“ sein zu müssen. Kreuz und quer wird unkoordiniert kommuniziert, werden ganze, für die Demokratie zentrale Wissenschaftsbereiche wie Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaft von undemokratisch organisierten, hierarchisch verfassten Laborwissenschaften am Gängelband geführt. Abgeschaltet wurden Bildung, Kultur, Sport, Geselligkeit, freies Wirtschaften, kurz das Menschsein. Gegenteilige Meinungen werden niedergebrüllt, gedemütigt, in modernen Schauprozessen zu Geständnissen gebracht. Gleichzeitig sehen radikale Radaubrüder und –schwestern ihre Chance gekommen, von links, rechts, oben und unten auf die Demokratie zu hauen, am liebsten, wenn diese eine Polizeiuniform trägt. Demokratie verträgt keine Gesinnungsübeltäter. Daran geht sie zugrunde. Demokratien, auch unsere, sind nicht resilient. Sie können ebenso zusammenbrechen wie Diktaturen. Das gilt auch in einer Pandemie.
Peter Mohler
*Richard Farson, Management of the Absurd – Paradoxes in Leadership. New York, 1996/1997, S. 38
** S. 89
*** David Emling weist notorisch darauf hin

Adolf Hitlers letzter Sieg?

Habe ich Ihre Aufmerksamkeit erregt? Gut bleiben Sie dran. Zuerst aber zum kleinen Einmaleins, nein, vielleicht doch eher zum Sport. Das höchste Lob, das ich als Torwart erfuhr, war der Beifall des Gegners für eine gelungene Abwehr. Besseres konnte einem nicht passieren. Hätte mir einer gesagt, ich sollte weniger gut spielen, damit die Gegner nicht applaudieren, hätte ich an dessen Verstand gezweifelt. Da passt auch das kleine Einmaleins hin: sagt einer von der Afd 1+1=2, stimmt das dann oder muss ich das politisch hinterfragen? Oder stimmt mir einer von der AfD zu, wenn ich sage 2+2=4, bin ich dann ein Rechter? Was ist wirklich dran am „falschen Beifall von der falschen Seite“? Oder trifft das nur auf Söder zu?
Nähern wir uns Adolf Hitlers letztem Sieg. Als ich aufwuchs, trauerte man noch über den Verlust der messerscharfen jüdischen Satire, Kritik und Philosophie. Nur aus Büchern konnte man erahnen, welche kulturelle Triebkraft in Deutschland fehlte. Sehr, sehr vereinzelt konnte man die Luzididät dieser Denkschule am Horizont aufleuchten sehen. Stattdessen machte sich der deutsche Besinnungsaufsatz breit. Wie sagte doch der amtlich bestellte Lehrer? „der Schüler ersetzt durch Tiefe, was er an Breite vermissen läßt“. Ja, breit, sehr breit alle möglichen Argumente aufführen, umrühren, zusammenführen und ein abgetropftes, abgestandenes, niemanden beunruhigendes Ergebnis formulieren. Breitstrahler, am besten rosarot, anstelle scharfer Laser.
Eine Gesellschaft, die verlernt hat, mit dem scharfen Laser jüdischer Tradition umzugehen, verbrüht sich am sanften Licht der besinnlichen deutschtümlichen Bräsigkeit und Oberlehrerhaftigkeit.
Adolf Hitler und seine vielen Gefolgsleute haben die deutsche Kultur ihrer jüdischen Tradition beraubt. Die unsäglichen Debatten um  künstlerische Verarbeitungen der allgemeinen Coronitis deuten Hitlers letzten Sieg an. Wollen wir das wirklich hinnehmen? Oder vielleicht doch dann lieber den guten Paraden der Gegner Beifall zollen?
Philipp Frankfurter

Daten-Notschrei oder die Armada läuft auf Grund

Ausgangssperre! Heißes Thema, auf und ab diskutiert. Eine der besten Darstellungen hat die formidable Sibylle Anderl in der FAZ gegeben.* Ihr Fazit: nichts genaues weiß man nicht, insbesondere weil die  Frage nach der Wirkung von Ausgangssperren komplexe, umfangreiche Untersuchungen erforderte, die es eben nicht gibt.
Bevor es ernst wird und wir  zu schlechten coronösen Datenlagen kommen, eine kleine Episode aus der Geschichte der Seefahrt, berichtet von Dava Sobel**: Seit ewigen Zeiten konnten Seefahrer den Breitengrad, auf dem sie sich gerade bewegten, mit Hilfe des Sonnenstandes sehr genau bestimmen. Das war zwar sehr hilfreich, jedoch wusste man nicht, wo genau man sich auf dem Breitengrad befand. Hässlich, wenn man bedenkt, dass der Breitengrad am Äquator 40.000km lang ist. Da kann man sich schon mal verlaufen. So geschah es auch mit einer britischen Armada, die nach langer Seereise guten Mutes der Heimat zusteuerte. Allerdings war die Sicht nicht gut, eher schlecht und der Wind stark. Auch wenn der Admiral in seine neues Fernrohr starrte, sah er nur grauen Dunst. Dennoch hielt er munter seinen Kurs. Da meldete sich ein erfahrener Maat mit letztem Mut zu Wort. Er meinte, man steuere geradewegs auf Sandbänke zu, der Untergang drohe. Nun wurde bei so freier Rede damals kurzer Prozess gemacht. Der Maat wurde unverzüglich aufgeknüpft und die stürmische Fahrt fortgesetzt. So wurde ihm das schlimmere Schicksal des elendiglichen Ersaufens erspart, das den Rest der Armada einschließlich Admiral am nächsten Tag traf.
Fehlende Daten, hier die Information, an welchem Punkt des Breitengrades die Armada sei, war die Ursache dieses und vieler anderer Unglücke, bis John Harris im 18. Jahrhundert Uhren konstruierte, die sehr genau gingen. Damit konnte man dann den Abstand zum Ausgangshafen genau berechnen oder anders gesagt, der Längengrad konnte so gut bestimmt werden, wie der Breitengrad. Die Datenlage war bereinigt und fast alles wurde gut.
Nach diesem Ausflug in die Geschichte der Seefahrt wird die Leserschaft sicher bemerkt haben, worauf es hier hinausläuft: auch in der Pandemie fehlen entscheidende Daten. Die Admirale steuern munter auf dem bekannten Breitengrad entlang, ohne zu wissen, wo die nächste Untiefe ist. Da ist Schiffbruch sehr wahrscheinlich.
Der Unterschied zum 18. Jahrhundert ist allerdings, dass es keines John Harris bedarf, um die fehlenden Informationen oder Daten zu beschaffen. Die notwendige Technik ist vor mehr als hundert Jahren erfunden worden und wurde seitdem stetig verbessert. Ihr Name ist „Umfrageforschung“. Gerne in der Politik zur Beliebtheitsmessung herangezogen, dagegen argwöhnisch beäugt, wenn es um wichtige soziale Tatsachen, insbesondere die Wirkung politischer Maßnahmen geht. So gab es zum Beispiel zur Wirkung der Umstellung des Sozialsystems genannt HartzIV, keine umfassende, öffentlich finanzierte Wirkungsforschung. Na ja, mit den Arbeitslosen  und Sozialhilfeempfängern meinten die Zyniker könne man ja machen, was man wolle. So, aber hier und heute, geht es um uns alle. Ausgangssperre! Und noch viel mehr! Volle Kanne im Blindflug auf die Sandbank!
Deshalb liebe Mitbürgerschaft, schaut Euch doch mal den Daten-Notschrei der empirischen Statistiker an uns alle an: https://www.dagstat.de/fileadmin/dagstat/documents/DAGStat_PI.pdf  ***
In einem Satz heißt der Daten-Notschrei: „gute Pandemiedaten braucht jedes Land. Jetzt.“
Schreibt Leserbriefe, sagt es weiter, geht Euren Abgeordneten auf die Nerven, lasst Euch nicht entmutigen und von hochnäsigen Admiralen bedrohen. Dann wird  alles gut, fast.

Peter Mohler

*Sibylle Anderl, Abends nur noch drinnen? FAZ-Net, wer Corona satt hat, sollte mal ihr Buch „das Universum und ich“ lesen. Astrophysik kann wirklich Spaß machen.
** Dava Sobel, Longitude, 1995, deutsch: Längengrad- Die wahre Geschichte eines einsamen Genies, welches das größte wissenschaftliche Problem seiner Zeit löste.
*** DAGSTAT ist die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Statistik. Ihr gehören an: Deutsche Statistische Gesellschaft, Internationale Biometrische Gesellschaft – Deutsche Region, Fachgruppe Stochastik der Deutschen Mathematikervereinigung, Gesellschaft für Klassifikation, Verband deutscher Städtestatistiker, Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Verein zur Förderung des schulischen Stochastikunterrichts, Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie, Ökonometrischer Ausschuss des Vereins für Socialpolitik, Fachgruppe Methoden und Evaluation der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Sektion Methoden der Empirischen Sozialforschung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, European Network for Business and Industrial Statistics – Deutsche Sektion, DESTATIS – Statistisches Bundesamt,  Sektion Methoden der Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft.

Zwang und Freiwilligkeit

3 von 22 – also aufgerundet 14 %.

Nein, ich rede nicht von einem potentiellen SPD/FDP-Bundestagswahlergebnis 2021 oder spätestens 2025. Ich rede von einer Testquote. Eine Testquote an einer Schule nicht allzu weit entfernt von mir. Hab ich gestern von einer leicht verzweifelten Lehrerin dort erfahren.

14 % getestete Schüler..muss man erstmal sacken lassen. Sicher, in Gymnasien und anderen Schulen ist die Quote besser, bei vielleicht 50%. Aber es gibt diese strukturschwachen Regionen. Und nicht zu knapp.

Es gäbe da eine Lösung, oder zumindest mal Daumenschrauben, die man an- und dann enger ziehen könnte. Und die heißt Testpflicht, oder auch, für Liberale das Unwort der Jahrhunderte 20 und 21: Zwang. Und zwar so einfach: Macht den Test zuhause, sonst kommen eure Kinder nicht in die Schule. Fertig aus.

Das pälzer Gemüt in der LH MZ sagt derweil: „jo alla“, halb so wild, und holt die Gerechtigkeitsaxt heraus, die da heißt: Es ist doch ungerecht den Kindern gegenüber, sie dann vom Unterricht auszuschließen. Jo alla, sag ich, stimmt schon, ist aber noch ungerechter den getesteten Kindern und Lehrern gegenüber, die sich dann täglich in Gefahr begeben, weil ihr keinen Bock auf einen Test habt. Die Debatte jedenfalls läuft, und die üblichen Stimmen in den üblichen Zeitungen heben mahnend den Finger und sagen, dass ein Appell an die Vernunft doch besser als jeder Zwang sei.

Tatsächlich?! Es gibt so einiges in den letzten Jahren und Jahrzehnten, was mit Appellen im ewigen Treibsand des Vergessens unterging. Vor allem aber gilt: Hatte sich mal die Zornesröte nach den eingeführten Zwängen (hier: Verboten durch Gesetze) gelegt, war alles halb so wild. Denken wir mal an das unfassbare, jegliche Freiheit jeglicher Bierzelt- und Gastrobesucher beschneidende Rauchverbot anno 2010 oder so was. Da war doch tatsächlich von den FDP-Jungs in Bayern folgender Satz zu lesen: „Ein totales Rauchverbot in der Gastronomie, die damit einsetzende Ausgrenzung der Gruppe der Raucher aus dem öffentlichen Raum birgt die Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung.“ Ajo, sagt der Pälzer, schon damals also waren wir als Gesellschaft zutiefst gespalten. Das Standard-Argument (obwohl es keins ist) gegen so ziemlich alles. Man könnte heulen, müsste man nicht so sehr lachen.

So stehen wir also in einer Pandemie-Situation, wie stark und schlimm genau sie auch sein mag. Jedenfalls dürfen wir abends nicht mehr raus, nur noch eine Person eines fremden Haushalts treffen (warum nicht zwei oder fünf des gleichen Haushalts, wo ist der Unterschied?!), draußen kein Bier oder Schorle petzen, und so weiter und so fort. Dann soll das Stäbchen im Zinken zu viel des Zwangs sein? Wenn es statt 14% mit Zwang 75% machen, wäre das schon mal ein Anfang. Und vielleicht ein Anfang vom Ende dieser ganzen Lockdownerei. Also, Nasenflügel auf und Stäbchen rein. Überall. Und her mit unseren Grundrechten!
David Emling

 

Brief aus der Zukunft

Landswinda Vilare, 30. Mai 2111

Lieber Philipp,
morgen öffnen die Staatsarchive ihre Tresore zur Coronakrise von 2020. Aus Deinem Nachlass weiß ich, wie Dich diese Krise damals umgetrieben hat. Die fast wöchentlich wechselnden Informationen über das, was damals Covid19 hieß, haben Dich offensichtlich immer wieder sehr beschäftigt. Wie konntest Du das damals nur aushalten? Ich schreibe Dir heute, am Tag vor der Wahrheit, um mich Deiner und Deiner Generation zu erinnern, um noch einmal mir vor Augen zu führen, was vor fast hundert Jahren alles an Wahrheiten, Gerüchten, Machtspielen und platten Lügen auf Euch prasselte.
Da ist zuerst die bis heute offizielle Geschichtsschreibung, nach der ein todbringender Virus innerhalb weniger Monate sich über tausende von Kilometern verbreitete. Er wütete anfänglich sehr unterschiedlich; in München, dort schnell lokalisiert und eingedämmt, in Bergamo dagegen übel wütend, von Wuhan kennt man nur Ungefähres. Dann durchdrang er alle Welt. In Deiner Heimat, damals Europäische Union, heute Teil von  Palatina Occidentalis, traf er auf ein vernachlässigtes, ökonomisch ausgerichtetes Gesundheitssystem, das mit voller Wucht getroffen wurde und sich seitdem nicht mehr erholt hat, sondern gemeinwirtschaftlich betrieben werden muss.
Viele, auch Du, wollten einen klaren Kopf bewahren, alles tun, was möglich sei um eine Katastrophe abzuwenden. Die Bürokratie versuchte ihr Bestes, die Politik hörte auf manche Wissenschaftlers, Ihr Menschen ward damals enorm geduldig.
Von heute auf morgen habt Ihr Euer Leben auf den Kopf gestellt. Ihr habt privat auf fast alles, was das Leben wert macht, verzichtet, um schlecht geführte Pensionistenheime und die große Wirtschaft zu schützen. Immer wieder hat man Euch gesagt „haltet durch, in ein paar Wochen ist alles vorbei“. Im letzten großen Krieg haben das die Leute „Durchhalteparolen“ genannt. Wie gebannt habt Ihr auf die täglichen Nachrichten des Robert-Koch-Instituts gestarrt. Gehofft habt Ihr, dass die Zahlen irgendwie der Wirklichkeit entsprechen, weil Ihr sonst verrückt geworden wärt. Welle auf Welle habt Ihr durchgestanden, ohne dass klar war, wo genau der Virus zuschlug (morgen werden auch diese Daten öffentlich). Und dann, am 22. September 2021, als in Deiner Heimat der Notstand offiziell für beendet erklärt wurde (ein halbes Jahr nach anderen Ländern),  habt Ihr nicht einmal mehr die Kraft zum Feiern gehabt.
Das ist die eine Geschichte, die offizielle.
Parallel dazu wurde alles, was möglich ist erfunden, auch, dass es den Virus nicht gab. Das habt Ihr locker als Lüge weggeschoben. Andere Narrative haben Euch mehr zu schaffen gemacht. Etwa das Narrativ der relativen Harmlosigkeit des Virus, weil  bestimmte Rechnungen keine höhere Sterblichkeit ergaben. Dass das Maskentragen sogar die Grippe praktisch zum Erliegen gebracht hatte. Andere behaupteten, die hohe Sterblichkeit der künstlich Beatmeten sei auf Behandlungsfehler zurückzuführen, weil viel zu viele an die Beatmungsgeräte angeschlossen worden seien und diese seien reine Bakterienschleudern. Andere bezweifelten die Gültigkeit und Zuverlässigkeit der offiziellen Daten. Sie seien so schlecht erhoben worden, dass selbst der Papierkorb zu schade für sie gewesen sei.
Das alles habt Ihr weggesteckt, weiter gemacht, nicht die Bazooka ausgepackt, nicht die radikalen Parteien gewählt, nicht den großen Populisten auf den Leim gegangen (wohl aber den kleinen). Hut ab, Respekt. Ich weiß nicht, wie ich mich an Eurer Stelle verhalten hätte. Wahrscheinlich hätte ich revoltiert, aber das ist im Nachhinein leicht gesagt (vor allem unter der gütigen Herrschaft von Miranda III, Kaiserin von Palatina Occidentalis).
Lieber Philipp, ich hoffe, morgen wird das offizielle Narrativ bestätigt. Alles andere wäre sehr, sehr traurig. Hoffen wir.
In liebevoller Erinnerung
Dein Urgroßneffe
Heinrich Philipp

Nagellack, Intelligenz und Corona??

Bei Maybritt Illner knallte gestern Naturwissenschaft auf Soziologie. Und zwar ganz leise und zivilisiert:
Der Ministerpräsident des kleinen Saarlandes (2 500 qkm, als Vergleich Bayern 70 000 qkm) erläuterte das dortige Vorgehen mit Testen, Impfen, strikten Vorgaben auch für Treffen im Privaten und intensiver wissenschaftlicher Begleitung. Da intervenierte Prof. Melanie Brinkmann, Virologin,  „… und für eine wissenschaftliche Begleitung braucht man eine Kontrollgruppe..“. Peng das war der Knall, das große Missverständnis der naturwissenschaftlich orientierten Virologen, Mediziner und Politiker wie Kanzlerin Merkel oder Bürgermeister Tschentscher über die Wissenschaft von der Gesellschaft, genannt Soziologie.
Für Naturwissenschaftler geht Wissenschaft nur als Experiment, wo eine Mausgruppe Aspirin erhält und eine andere Gruppe weiße Placebos. Die Placebofresser sind die sogenannte Kontrollgruppe. Die benötigt man, um eindeutig (kausal) die Wirkung von Aspirin auf die Schmerzempfindlichkeit zu überprüfen. Damit keine Beeinflussung durch die fütternden Pfleger möglich ist, wissen auch diese nicht, ob sie gerade Aspirin oder Placebo verfüttern. Das nennt man dann „Doppelblindstudie“, weder der Behandler noch der Patient, weiß was in der Pille tatsächlich enthalten ist. Darauf beruht die ganze pharmazeutische Wirksamkeitsforschung (Dank an die hunderttausende Freiwilligen, die das mitmachen – ohne die hätten wir keine Impfstoffe heute).
Was für Prof. Brinkmann völlig normal ist, bedeutete in der soziologischen Wirklichkeit, dass Herr Ministerpräsident Hans Landkreise zufällig in „Behandelte“ und andere in „Placebo“ (nicht behandelte) einteilte. „Behandelt“ bedeutete, dass z.B. die Außengastronomie in Landkreis A für 14 Tage öffnet und in Landkreis B nicht. Danach vergleicht man die Infektionszahlen. Steigt im behandelten Landkreis die Infektion, dann glaubt man zu wissen, daran sei die Außengastronomie schuld.
Mindestens zwei Gründe stehen dieser schlichten Denkweise entgegen. Erstens ist es ein starker Glaubenssatz, dass zwischen den beiden Landkreisen nur der eine Faktor „Außengastronomie“ an der Infektionslage beteiligt sei. Was, wenn die Zahl der offenen Kitas unterschiedlich ist oder es mehr Altersheime gibt oder weniger geimpft wurde? Die Zahl lässt sich lange fortsetzen. Kurz, in einer lebendigen menschlichen Gesellschaft gibt es keine guten Experimentalbedingungen, da muss was anderes her (dazu hilft dann der Nagellack). Zweitens sind Menschen keine Versuchsmäuse (und für die gibt es immerhin eine gute Lobby). Es geht einfach nicht, mir etwas alleine für den „guten“ wissenschaftlichen Zweck  zwangsweise vorzuenthalten. Gott schütze unsere Verfassung!  Und die uns vor blauäugigen Wissenschaftlern.
Nun wird es aber dringend Zeit für den Nagellack. Helge Pross, früh verstorbene, empirische Sozialforscherin der Frankfurter Schule pflegte in den 70er Jahren mit sanftem Lächeln einen bombenfesten statistischen Zusammenhang aus den frühen 60ern vorzutragen: damals, welche Überraschung, korrelierte (hing zusammen) die Nutzung von Nagellack mit der Intelligenz von Frauen. Was? Wie bitte? Nein, nicht aufhören zu lesen oder anfangen sich aufzuregen. Helge Pross war es bitterernst, diesen Unfug zu entlarven, weil wir damals und heute an viel weniger auffälligen Stellen auf solche Zusammenhänge hereinfallen. Die Lösung ist verbunden mit einem Grundproblem der empirischen Sozialforschung, den sogenannten „unbeobachteten Drittvariablen“.  In unserem Beispiel haben wir zwei beobachtete Merkmale (Variablen): Intelligenz von Frauen und Nutzung von Nagellack. Was nicht beobachtet oder erfragt wurde war, warum und wann Frauen Nagellack auflegten. Sobald man dies tat war klar, dass bestimmte berufliche Umfelder damals eine feste Kleiderordnung hatten. Je höher die Ausbildungsanforderung für den Beruf war, desto mehr war Nagellack Teil der Berufskleidung. Zwischen Bildung oder Ausbildung und Intelligenz gibt es einen nachvollziehbaren Zusammenhang. Bingo, was man gemessen hat, war eine soziale Norm „Berufskleidung“ und nicht die Wirkung von Intelligenz auf Nagellack oder umgekehrt.  Die andere Geschichte dazu ist die vom Zusammenhang von Storchen- und Geburtenzahl, auch Schnee von gestern?
Zurück ins Saarland, es ist offensichtlich nicht möglich in einer Studie alle möglichen oder unmöglichen Merkmale zu erfassen. Und selbst wenn man die Zahl der Merkmale in die Höhe treibt, kommt ein anderer Hauptsatz der statistischen Forschung in die Quere: wenn man 100 Merkmale miteinander korrellationsstatistisch betrachtet finden sich etwa 25 rechnerische „Zusammenhänge“, die aber dem reinen Zufall geschuldet sind. Praktisch statistischer Müll, der sich überall einschleicht.
Was machen wir nun? Ist Sozialforschung dann noch Wissenschaft, wenn sie vom Müll oder unendlich vielen Drittvariablen verschmutzt wird?
Aber ja, und jetzt wird es auch für Frau Brinkmann spannend, denn auch sie arbeitet mit statistischen Auswertungsverfahren bei ihren Experimenten. Und auch für sie gilt das Drittvariablenproblem, weil sie immer nur einen kleinen Satz von Merkmalen beobachten kann (kontrollieren kann). Und genauso gilt der Satz von den 25% zufällig positiven Ergebnissen. Also im Prinzip kein Deut einfacher als bei den Sozialforschern. Was tun?
Wer die Klassiker der statistischen Analyse liest, stößt auf eine überraschende Aussage: ohne Theorie ist jede statistische Analyse sinnlos. Theorie heißt, ich weiß zumindest in welcher Richtung ich suche. Dazu überlege ich mir, was ich ausschließen möchte, denn nach Popper kann ich nur ausschließen, dass etwas so und so ist. Wenn ich auf Grund einer statistischen Analyse sage, Corona sei ansteckend, dann habe ich tatsächlich festgestellt, dass es nicht „nichtansteckend“ ist. Klingt um die Ecke gedacht, man kann sich aber daran gewöhnen und es funktioniert gut.
Zurück zum Nagellack und dem, was Ministerpräsident Hans oder Tübingen, Alsfeld usw. machen: ihre Theorie ist: wenn sich Menschen treffen, die momentan kein Covid19 haben, dann können sie sich untereinander nicht anstecken. Dafür wird vor dem Treffen auf Covid19 getestet. Die Folgerung daraus ist, dass alle derartigen covid19freien Treffen keinerlei Wirkung auf das Infektionsgeschehen haben können. Das ist eine solide theoretische Annahme. Wenn die Zahl der Infektionen dann weiterhin zunimmt, kann das andere Gründe haben. Zum Beispiel , wenn 5% aller Getesteten infiziert sind, steigt die Zahl der „entdeckten“ Infektionen automatisch mit der Zahl der Tests (das ist bekannt). Oder, es gibt unbeobachtete Drittvariablen wie die ungeschützten Treffen bei der Arbeit, die das Infektionsgeschehen treiben und man deshalb die steigenden Infektionszahlen nicht dem Saarland, Tübingen, Alsfeld etc. in die Schuhe schieben kann, sondern den dritten, bisher nicht berücksichtigten Merkmalen.  Wer allerdings wie Bürgermeister Tschentscher anderes behauptet liegt falsch oder er glaubt zu wissen, dass die Tests so schlecht sind, dass man sie nicht verwenden sollte. Das sagt er aber nicht. Das sagt auch Frau Brinkmann nicht.
Was lernen wir daraus? Menschen sind keine Mäuse, Drittvariablen sind die Pest und nur eine gescheite theoretische Überlegung macht Statistik sinnvoll.

Peter Mohler

Die neue Wirklichkeit

Ein Jahr Pandemie, für viele Zeit und Anlass, „zurückzublicken“. (Warum eigentlich nach genau einem Jahr? So wie die berühmten 100 Tage im Amt einer Politikerin. Als ob man in einer so kurzen Zeit wirklich etwas verstehen, gar verändern könnte…). Keine Angst, ich will das hier nicht tun, aber eines dann doch sagen. Die meisten Zusammenfassungen beginnen mit einem vermeintlichen Allgemeinplatz, den ich mir nur ganz kurz genauer anschauen muss (ganz kurz, weil ich schon bald Philip Frankfurter corona-konform beim Italiener treffe und bitten muss, bei uns zu bleiben).

Ein Jahr Pandemie liegt hinter uns, ein Jahr im Ausnahmezustand.

Diese Gleichsetzung beschäftigt mich, denn der Zeitraum „ein Jahr“ und der Begriff „Ausnahmezustand“ wollen einfach nicht zusammengehen in meinem Köpfchen. Und ist nicht genau das auch das Problem an der ganzen Sache?! Dass wir so tun, als wäre das ein kurzer und schlimmer Ausnahmezustand, der bald schon zu Ende geht und danach alles wieder „normal“ ist?! Ich komme mir ja fast wie auf Armin Laschets „Brücke“ ins Nirgendwo vor, die den Lockdown da unten überbrücken soll. Oder noch besser, wie in der SPD, wo viele immer noch meinen, die 16% seien eine Talsohle, die man durchschreiten müsse, aber schon bald wieder zu den alten Zuständen zurückkehre. Wo nehmen die Leute nur diese Annahmen her? Ich glaube ich weiß es: Angst. Angst und Unsicherheit, was stattdessen kommt, wenn das Altbekannte einfach wegbleibt.

Ich glaube eher, dass wir gerade in der neuen Wirklichkeit angekommen sind. Sicher, irgendwann sind wir geimpft, und tatsächlich wird die Lockdownerei (schönes Wort finde ich) ein Ende haben. Aber vieles, was geschehen ist, wird bleiben. Kleine Verletzungen im Privaten, dass man sich mit Familie und Freunden uneinig ist übers Impfen, oder den Gang in den Kindergarten (oder eben nicht), mit wie vielen man den (vielleicht letzten) Geburtstag der Oma feiern kann/sollte/darf/nicht darf. Und natürlich im Großen: Wie sich eine letzte Volkspartei selber zerlegt hat, einen schlechten, sehr schlechten Vorsitzenden wählte, demontierte, wieder mal fast wie in der SPD. Wie wir erlebt haben, dass grundlegende Reflexionsmechanismen in der Politik nicht mehr (oder noch nie?!) da waren: das, was man tut, erklären zu können, Gründe angeben, warum man so handelt wie man handelt. Und noch vieles mehr. Ein Satz, ich kann es kaum glauben, von Jens Spahn, der sicher zutrifft, war: Wir werden uns viel verzeihen müssen. Richtig. Aber dann doch nicht alles Herr Spahn. Schauen wir, was noch kommt, mehr können wir nicht tun. Ich muss jetzt auch, Sie wissen, der Frankfurter…

Nur noch eines: Irgendwann werden wir auch verstehen, dass Frau K-K’s „Freiwilligendienst im Heimatschutz“ nur ein Chiffre für den jämmerlichen Versuch ist, nach rechts Abgewanderte wieder in die CDU zu bringen. Denn die Leute können weder das Eine noch das Andere gescheit. Ciao, und guten Appetit an alle!
David Emling

 

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