Wilder Südwesten

Schlagwort: Qualität

Fit for the intended use

Da sitze ich und löffle genüsslich einen wunderbar künstlichen Joghurt (warum mit h und nicht mit y?) aus dem Glas. Ach wie zeitgemäß ich doch bin. Kein Plastik, nur Metall und Glas. Da fällt mein Auge auf die Banderole: „Um das Glas nicht zu beschädigen, bitte keinen Metalllöffel zum Verzehr verwenden. Bitte Pfandglas ausgespült mit Verschluss zurückgeben.“
Da fällt mir doch glatt der Löffel ins Glas zurück. Soll ich etwa einen Plastiklöffel nehmen? Oder den uralten perlmutternen? Ja, was ist denn das? Ein Glasbecher aus billigstem Pressglas ist nicht löffelfest? Muss ich als Kunde schon wieder die Unfähigkeit der Hersteller ausgleichen?
Aus meiner kleinen Weltsicht ist der Glasbecher ungeeignet für seinen Verwendungszweck als Joghurtbehältnis (wenn ich den Inhalt vor dem Verzehr umfüllen sollte, warum ist dann der Becher oben so eng, dass ich gerade so mit einem Esslöffel hineinkomme und die letzten 10% nur mit dem Finger herauspfrimeln kann?).
Qualität wird heutzutage als „fitness for the intended use“ (für den vorgesehenen Zweck geeignet) definiert. Die Qualität eines Joghurtbechers sollte demnach sein, ein Nahrungsmittel unverdorben an die Esser zu bringen und das so, dass man das Nahrungsmittel mit minimalem Aufwand verzehren kann. Dazu gehört ein beliebiger Löffel oder Spatel und auch nicht die Notwendigkeit, die Verpackung nach Gebrauch sauber zu spülen.
Stattdessen sieht das Glas aus wie eine altmodische Milchkanne, deren Verschluss in der Spülmaschine gerne durch den Rost fällt und deren Banderole den Filter der Spülmaschine verstopft. Sie fragen, was hat der Joghurtbecher in der Spülmaschine zu suchen? Er gehört dorthin, dichtgepackt mit allem anderen, weil das die ökologischste, energie- und wassersparendste Art ihn zu reinigen ist, wenn man er Presse glauben darf.
Schauen Sie sich um. Wo wird Ihnen etwas angeboten, das wirklich fit ist? Eigentlich jede Menge, solange es sich nicht um so einzigartige Prestigeartikel wie Joghurt im Glas handelt: Streichhölzer, schlicht in einer Pappverpackung, Butter in Alufolie, Brot in der Tüte, echte E-Mails mit ordentlichem Betreff, solide Politik ohne Notstandsprogramm. Sobald jedoch so etwas wie „Wertigkeit“ dazukommt, es also nicht mehr um die Erdbeere im Joghurt, sondern das „besondere Produkt“ geht, wird die Verpackung wichtiger als der Nutzen.
Wie eine hässliche Schleimspur zieht sich der Wertigkeitvortäuschungsversuch durch unser Leben. Wenige Beispiele: Nachrichten – nicht mehr ohne Infotainment, Auto – nicht mehr ohne Wurzelholz oder Großbildschirm, Nahrungsmittel – nicht mehr ohne Gesundheitspass, Änderung der Verkehrsregeln – nicht ohne Talkshow und Pseudoshitstorm, vor Mitternacht – bitte ohne Lanz.
Ach und bei all dem Übel, bin ich denn fit for the intende use? Oder bin ich gar useless?
Philipp Frankfurter

Ehrenamt und Inkompetenzvermutung

Wen die Wähler in ein Amt wählen, dem geben sie auch den Verstand mit. Denkste. Während im gewöhnlichen Leben jeder zeigen muss, dass sie den Job kann, oft sogar noch dafür geprüft wird, reicht beim üblichen politischen Wahlamt, sagen wir Bürgermeister von Dorf bis Millionenmetropole, das richtige Geburtsdatum und das war es dann.
So schauen uns dann mehr oder weniger gestylte Gestalten von den Wahlplakaten an, die versprechen alles, nur nicht ausgebuffte Verwaltungsarbeit. Halt, was soll das mit der „Verwaltungsarbeit“ bedeuten? Noch nicht gewusst: Bürgermeisterinnen und auch Gemeinderäte sind Teil der Verwaltung und was macht die? Genau: „Verwaltungsarbeit“. Dort gilt zum Beispiel der Grundsatz „wer schreibt der bleibt“. Der andere heißt „lesen statt hörensagen“. Wer sich umschaut bzw. öffentlichen Sitzungen von Gemeinden beiwohnt, glaubt oft nicht richtig zu hören, weil praktisch keiner die Vorlagen geschweige denn die notwendigen Gesetzestexte gelesen hat. Erste Vermutung: die Zahl der Analphabeten im Ehrenamt ist gewaltig. Kann das sein? Wer weiß. Sicher ist, keiner verlangt irgendeine Anstrengung von den Amtsträgern, sich in die Materie einzuarbeiten, von Fort- und Weiterbildung darf man gar nicht reden. Das gilt, obwohl die Zahl der Angebote Legion ist. Aber überlaufen sind die garantiert nicht.
Was bleibt, ist der Frust professioneller Verwalter über inkompetente Wahlämtler und die Verzweiflung der Bürger über deren Mittelmäßigkeit. Und jetzt bitte nicht mehr wundern, warum so vieles auf kommunaler Ebene steckenbleibt. Da war doch was mit der Wissensgesellschaft….
Philipp Frankfurter

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