Wilder Südwesten

Schlagwort: Sprache

Trümmerwörter-wiederauferstehung

Gleich nach dem großen unvaterländischen Krieg, lag nur weniges nicht in Trümmern. So auch die Sprache, sie lag zerfleddert herum. Vormals große Worte verschwunden, verschollen, vermisst: Ehre, Freude, Frieden, Vaterland, Bewegung, Aufmarsch, Partei. Und erst die Musik: Fanfaren beim Teufel, schwelgende Akkorde vergiftet, himmlische Gesänge verdampft in der Hölle.
Was erst wie Ersatzsprache oder Kleinmusik erschien, die Lakonie der Erschöpfung à la Hemingway oder der modernen Klassik, eröffnete einen weiten, großen Horizont durch den die Wirklichkeit ungefiltert durch Wortbombasmen und Fanfarengetöse Leben und Erleben ungeahnt bereicherten.

Die Jahre gingen dahin, die Empfindsamkeit für die toten Bombasmen schwand. Die Untoten kehrten zurück: Bewegung wurde umgefärbt von braun auf rot, Freude zum Freudentaumel der la ola, Klima als Travestie von Vaterland und Ehre, und die Partei, die Partei will immer noch ihr Recht, sei’s links oder rechts.

Die Musik versank in unendlichen Akkorden, es wagnert auf dem Pissoir und im Tatort. Ist Euch der Untergang der Nibelungen denn ganz entgangen?

Zu guter Letzt, wird auch die Geschichte wieder bombastisch. Jede Mitteilung der oberen Heeresleitung, genannt Regierung, wird historisch genannt, ohne den Wortwitz des darin verborgenen Rückwärtsgewendetseins zu erkennen.

Es lebe die Sprache, die Musik und der Witz!
Sie werden uns alle locker überleben.

Grüns Worte

Als ich einmal in einem Artikel schrieb, ein analysierter Text habe „2434 Worte“ enthalten, gab mir  ein sehr wohlmeinder Kollege den Hinweis „Gott spricht Worte“, mein Text enthalte dagegen „Wörter“. Recht hatte er und hat noch heute Recht. Aber wir beide haben die Rechnung ohne Detlev Grün*, RTL und Konsorten beziehungsweise der Individualisierungswelle gemacht. Die abgehobene Sprechweise der „Worte“ gegenüber den angebrachten „Wörtern“ hat es sich in unserer Alltagssprache gemütlich gemacht. Hören Sie mal anderen Leuten zu: man geht zu Tisch, nimmt eine Kleinigkeit zu sich, gönnt sich einen edlen Tropfen und hat kleines Geld ausgegeben, anstelle von Mittagspause machen, etwas essen,  ein Glas Wein genießen und wenig bezahlen. Hänschen Müller berichtet in Grüns Worten über seine erste Speckfalte als sei es ein königliches Leiden. Le roi c‘ est moi oder so, wie der gebildete Pfälzer sagt. Jeder ist sein kleiner König im Traumland: jeder macht Traumurlaub, Traumhochzeit oder Traumnarkose. Wann hatten Sie zuletzt mal herzlich gelacht? Ich würde sagen wollen, das sei schon lange her und da bin ich ganz bei Ihnen, wobei ich nicht weiß, ob Sie ganz bei Sinnen sind und ich auch nicht.

Philipp Frankfurter
*Detlev Grün ist Hauptkommissar in der ZDF Serie „Heldt“ und ein Wunder der abgehobenen Stelzsprache

Zum Weltmenschentag 2021

Es geschieht selten, dass ich ein Buch in hohem Bogen in den Papierkorb befördere.  So geschehen vor vielen Monaten mit Sloterdijks Briefroman, dessen Titel unerwähnenswert ist. Als ich an die Stelle „kein Mensch versteht die Frauen“ kam, erfolgte sofort der Abwurf in den Papierkorb. Ein Philosoph, der einen derartigen Denkfehler schreiben kann, ist keiner. Denken Sie mal nach, was dieses Mann da gemacht hat.
Heute dazu mal was in Sachen Sprache. Die Sache mit dem grammatischen und dem „wirklichen“ Geschlecht ist verzwickt. Vor allem aber ur- ur- uralt. Und völlig ungeordnet in Europa, mindestens, was das Mond angeht. Nehmen wir mal an, das „Geschlecht“ wäre amtlich völlig uninteressant, etwa indem dazu nichts mehr in der Geburtsurkunde oder einem Ausweis steht, Vornamen nach Belieben vergeben werden könnten (wenn man die Fingerabdrücke im Ausweis hat, braucht man eigentlich nicht einmal ein Bild, um eine Person eindeutig zu identifizieren). Heiraten, Armee, Geschäft aufmachen? Mindestalter 18, basta.
Und jetzt zur Sprachrevolution:
Natürlich wissen wir alle, wie sehr das grammatische Geschlecht den Spracherwerb behindert, Bildungsschranken aufbaut, Berufschancen mindert. Gehen wir also davon aus, der grammatische Begriff färbe auf die Wirklichkeit heftig ab. Dann muss was gegen diesen Einfluss sprachlich unternommen werden. Wenn wir das so wollen, und viele wollen das, dann sollten wir uns etwa einfallen lassen.
Was uns bisher einfiel sind Reförmchen, nach dem Motto, „ich möchte explizit genannt werden“. Bäcker*innen ist derzeitig wohl aktueller Stand. Möglichst auch hörbar gesprochen. Was ein Umstand. Ein neuer Buchstaben, ein neuer Laut. Geht es auch nicht einfacher?
Wo ist denn das Neutrum geblieben? Keiner spricht vom Neutrum, wenn es um das grammatische Geschlecht geht. Ein weit unterschätzter Begriff. Was kann man damit machen?
Warum schafft keiner das grammatische Geschlecht ab? Man vereinfacht die deutsche Sprache, indem man Feminin und Maskulin abschafft und nur einen Fall, den Nominativfall nutzt, aka N-Fall.
Das wäre doch mal eine echte Sprachreform! Hier ein anderes Text in das zeitgemäße N-Form:
Von jetzt an wird für ein Substantiv, was immer es bedeuten mag,  das N-Fall genutzt. Also: das Bäcker, das Maler, das Mensch, das Chirurg, das Komponist, das Dirigent, das Soziologe, das Mond, das Sonne. Klingt erst mal gruselig? Ach, das ist wie mit Austern, erst mal gruselt man sich, dann schlürft man sie in sich hinein, ohne sich beim * zu verschlucken und so weiter. Außerdem, wenn die Engländer das können, können wir das erst recht. Übrigens, wer die Wörter im Plural nutzt, merkt fast gar nichts ihr lieben Leute.
Philipp Frankfurter

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